Streit um Risikoausschluss für "Kur- und Sanatoriumsbehandlung" in privater Krankenversicherung
OLG Nürnberg v. 13.10.2025, 8 U 447/24
Der Sachverhalt:
Bei der Klägerin handelt es sich um eine 1971 geborene Hochschulprofessorin und Beamtin. Bereits im Jahr 1972 war ihr rechtsseitig der Unterschenkel amputiert worden. Seitdem befand sie sich regelmäßig in ärztlicher Behandlung. Im September 2011 hatte sie bei der Beklagten eine private Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung abgeschlossen. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für Beschäftige des öffentlichen Dienstes (AVB) zugrunde, die in Teil I die Musterbedingungen MB/KK 2009 enthalten, so u.a. unter § 5 Einschränkung der Leistungspflicht im Hinblick auf Kur- und Sanatoriumsbehandlung sowie für Rehabilitationsmaßnahmen der gesetzlichen Rehabilitationsträger.
Vom 12.11.2018 bis 1.12.2018 begab sich die Klägerin in eine "Rehabilitations-Fachklinik für Neurologie und Orthopädie/Traumatologie"), vom 16.6.2021 bis 7.7.2021 begab sie sich in eine "Fachklinik für Orthopädie, Traumatologie und Sportmedizin". Die in Rechnung gestellten Kosten betrugen 3.518 € bzw. 9.686 €. Die Beklagte lehnte eine anteilige Erstattung der Kosten ab, weil es sich um Kur- und Sanatoriumsbehandlungen bzw. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen gehandelt habe. Diese seien in den von der Klägerin gehaltenen Tarifen nicht versichert. Auch liege keine Erkrankung vor, bei der eine Anschlussheilbehandlung versichert sei.
Das LG hat der Klage ohne Beweisaufnahme vollständig stattgegeben. Hierbei hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Auslegung der im Versicherungsschein enthaltenen Sondervereinbarung ergebe, dass die Klägerin für sämtliche Behandlungen infolge der traumatischen Amputation am Unterschenkel uneingeschränkten Versicherungsschutz genieße. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Das LG hat der Klage im Ergebnis zu Recht vollständig stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Anspruch aus § 1 Abs. 1 lit. a) und b) AVB, § 192 Abs. 1 und 4 VVG.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz begründet nicht jede im Zusammenhang mit der Unterschenkelamputation durchgeführte Maßnahme einen vertraglichen Erstattungsanspruch der Klägerin. Bei den beiden Klinikaufenthalten der Klägerin handelte es sich jeweils unstreitig um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit. Auch war es der Beklagten nicht verwehrt, sich auf § 5 Abs. 1 lit. d) AVB zu berufen. Augenscheinlich handelte es sich in beiden Fällen jedoch nicht um die Maßnahme eines gesetzlichen Rehabilitationsträgers. Die PKV-Versicherungsunternehmen zählen nicht zu den Rehabilitationsträgern. Darüber hinaus ist es das Ziel von Rehabilitationsmaßnahmen in gesetzlicher Trägerschaft, den Patienten dauerhaft in Arbeit oder Beruf wieder einzugliedern.
In Betracht kam daher nur eine "Kur- und Sanatoriumsbehandlung". Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um überkommene Begriffe handelt, die dem zeitgemäßen medizinischen Versorgungsspektrum nicht mehr gerecht werden und in der ärztlichen Praxis auch kaum mehr Verwendung finden. Vielmehr hat sich der Begriff "Rehabilitation" etabliert. Die Kur- oder Sanatoriumsbehandlung ist von der Krankenhausbehandlung abzugrenzen. Entscheidend ist dabei die Ausgestaltung der Behandlung, insbesondere der äußere Rahmen. Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Rehabilitation ist nicht maßgebend. Auch für einen Kur- oder Sanatoriumsaufenthalt ist es charakteristisch, dass er der Behandlung einer Krankheit dient.
Unter einem Sanatorium versteht man eine unter (fach-)ärztlicher Leitung stehende, klimatisch günstig gelegene, meist einer speziellen Zielrichtung gemäß ausgestattete stationäre Einrichtung zur Behandlung und Betreuung genesender und/oder chronisch Kranker, bei denen kein Krankenhausaufenthalt (mehr) erforderlich ist. Ähnliches gilt auch für einen Kuraufenthalt, wobei hier ein bestimmtes Verfahren mit vorwiegend natürlichen Heilmitteln (z.B. Bade- oder Trinkkur) in einem als solches ausgewiesenen Kurort ("Bad ... / Heilbad ...") im Vordergrund steht.
Die beiden Aufenthalte waren fachärztlich angeraten und dienten der Behandlung einer Krankheit der Klägerin. Weder war sie genesen, noch kamen der klimatisch günstigen Lage des Standortes sowie der Herauslösung der Klägerin aus der gewohnten Umgebung entscheidende Bedeutung zu. Auch die regelmäßig, teils täglich stattfindenden ärztlichen Visiten und die zumindest als Rufbereitschaft gegebene Möglichkeit der ärztlichen Intervention waren Indizien, die gegen die Annahme von Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen sprachen. Sie waren vielmehr für ein Krankenhaus als auch für eine Rehabilitationseinrichtung typisch. Da die einzig in Betracht kommende "Kur- und Sanatoriumsbehandlung" vom Senat nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, griff der Risikoausschluss nicht ein und es liegen zwei die Erstattungspflicht der Beklagten auslösende Versicherungsfälle vor.
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Bayern.Recht
Bei der Klägerin handelt es sich um eine 1971 geborene Hochschulprofessorin und Beamtin. Bereits im Jahr 1972 war ihr rechtsseitig der Unterschenkel amputiert worden. Seitdem befand sie sich regelmäßig in ärztlicher Behandlung. Im September 2011 hatte sie bei der Beklagten eine private Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung abgeschlossen. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für Beschäftige des öffentlichen Dienstes (AVB) zugrunde, die in Teil I die Musterbedingungen MB/KK 2009 enthalten, so u.a. unter § 5 Einschränkung der Leistungspflicht im Hinblick auf Kur- und Sanatoriumsbehandlung sowie für Rehabilitationsmaßnahmen der gesetzlichen Rehabilitationsträger.
Vom 12.11.2018 bis 1.12.2018 begab sich die Klägerin in eine "Rehabilitations-Fachklinik für Neurologie und Orthopädie/Traumatologie"), vom 16.6.2021 bis 7.7.2021 begab sie sich in eine "Fachklinik für Orthopädie, Traumatologie und Sportmedizin". Die in Rechnung gestellten Kosten betrugen 3.518 € bzw. 9.686 €. Die Beklagte lehnte eine anteilige Erstattung der Kosten ab, weil es sich um Kur- und Sanatoriumsbehandlungen bzw. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen gehandelt habe. Diese seien in den von der Klägerin gehaltenen Tarifen nicht versichert. Auch liege keine Erkrankung vor, bei der eine Anschlussheilbehandlung versichert sei.
Das LG hat der Klage ohne Beweisaufnahme vollständig stattgegeben. Hierbei hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Auslegung der im Versicherungsschein enthaltenen Sondervereinbarung ergebe, dass die Klägerin für sämtliche Behandlungen infolge der traumatischen Amputation am Unterschenkel uneingeschränkten Versicherungsschutz genieße. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Das LG hat der Klage im Ergebnis zu Recht vollständig stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Anspruch aus § 1 Abs. 1 lit. a) und b) AVB, § 192 Abs. 1 und 4 VVG.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz begründet nicht jede im Zusammenhang mit der Unterschenkelamputation durchgeführte Maßnahme einen vertraglichen Erstattungsanspruch der Klägerin. Bei den beiden Klinikaufenthalten der Klägerin handelte es sich jeweils unstreitig um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit. Auch war es der Beklagten nicht verwehrt, sich auf § 5 Abs. 1 lit. d) AVB zu berufen. Augenscheinlich handelte es sich in beiden Fällen jedoch nicht um die Maßnahme eines gesetzlichen Rehabilitationsträgers. Die PKV-Versicherungsunternehmen zählen nicht zu den Rehabilitationsträgern. Darüber hinaus ist es das Ziel von Rehabilitationsmaßnahmen in gesetzlicher Trägerschaft, den Patienten dauerhaft in Arbeit oder Beruf wieder einzugliedern.
In Betracht kam daher nur eine "Kur- und Sanatoriumsbehandlung". Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um überkommene Begriffe handelt, die dem zeitgemäßen medizinischen Versorgungsspektrum nicht mehr gerecht werden und in der ärztlichen Praxis auch kaum mehr Verwendung finden. Vielmehr hat sich der Begriff "Rehabilitation" etabliert. Die Kur- oder Sanatoriumsbehandlung ist von der Krankenhausbehandlung abzugrenzen. Entscheidend ist dabei die Ausgestaltung der Behandlung, insbesondere der äußere Rahmen. Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Rehabilitation ist nicht maßgebend. Auch für einen Kur- oder Sanatoriumsaufenthalt ist es charakteristisch, dass er der Behandlung einer Krankheit dient.
Unter einem Sanatorium versteht man eine unter (fach-)ärztlicher Leitung stehende, klimatisch günstig gelegene, meist einer speziellen Zielrichtung gemäß ausgestattete stationäre Einrichtung zur Behandlung und Betreuung genesender und/oder chronisch Kranker, bei denen kein Krankenhausaufenthalt (mehr) erforderlich ist. Ähnliches gilt auch für einen Kuraufenthalt, wobei hier ein bestimmtes Verfahren mit vorwiegend natürlichen Heilmitteln (z.B. Bade- oder Trinkkur) in einem als solches ausgewiesenen Kurort ("Bad ... / Heilbad ...") im Vordergrund steht.
Die beiden Aufenthalte waren fachärztlich angeraten und dienten der Behandlung einer Krankheit der Klägerin. Weder war sie genesen, noch kamen der klimatisch günstigen Lage des Standortes sowie der Herauslösung der Klägerin aus der gewohnten Umgebung entscheidende Bedeutung zu. Auch die regelmäßig, teils täglich stattfindenden ärztlichen Visiten und die zumindest als Rufbereitschaft gegebene Möglichkeit der ärztlichen Intervention waren Indizien, die gegen die Annahme von Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen sprachen. Sie waren vielmehr für ein Krankenhaus als auch für eine Rehabilitationseinrichtung typisch. Da die einzig in Betracht kommende "Kur- und Sanatoriumsbehandlung" vom Senat nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, griff der Risikoausschluss nicht ein und es liegen zwei die Erstattungspflicht der Beklagten auslösende Versicherungsfälle vor.
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