14.10.2022

Teilweiser Sorgerechtsentzug bei Schulverweigerung, die durch Eltern verursacht wird

Eine Kindeswohlgefährdung kommt in Betracht, wenn Eltern - erst wegen der Corona-Maßnahmen, dann wegen einer bevorzugten häuslichen Beschulung - den Schulbesuch ihres Kindes verweigern. In der Folge kann das Sorgerecht der Eltern eingeschränkt und dem Jugendamt die Umsetzung der Schulpflicht übertragen werden.

OLG Karlsruhe v. 25.8.2022 - 5 UFH 3/22
Der Sachverhalt:
Zur Entscheidung kam der Fall eines Grundschülers, der im September 2021 im Alter von knapp sieben Jahren als Erstklässler eingeschult wurde, aber bis zum Ende des Schuljahrs im Sommer 2022 zu keinem einzigen Schultag erschienen war.

Den fehlenden Schulbesuch erklärten die Eltern zunächst mit Test- und Maskenpflichten wegen der im Schuljahr 2021/2022 geltenden Corona-Maßnahmen und der angeblichen Gefahr einer Zwangsimpfung durch die Schule. Das daraufhin von der Schule eingeschaltete Jugendamt und ein vom Familiengericht eingesetzter Verfahrensbeistand scheiterten mit Gesprächs- und Vermittlungsangeboten. Nachdem die schulbezogenen Corona-Maßnahmen geendet hatten, erklärten die Eltern den weiterhin fehlenden Schulbesuch schließlich damit, dass ihr Sohn sich durch das "Freilernen im Homeschooling" "toll" entfalten könne. Er habe den Wunsch, dies so weiterzuführen. Sein Bildungsstand könne jederzeit überprüft werden.

Das FamG erteilte den Eltern das Gebot, für eine regelmäßige Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Gegen diese Entscheidung legten die Eltern - unter Verweis auf die ihrer Meinung nach gesundheitsschädigende Maskenpflicht - Beschwerde ein.

Das OLG, das über die Beschwerde der Eltern zu entscheiden hatte, hat im Interesse des Kindes im Wege einer einstweiligen Anordnung die Entscheidung des FamG verschärft und den Eltern - in Bezug auf die schulischen Angelegenheiten - das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn vorläufig entzogen. Die hiermit zusammenhängenden Aufgaben sind auf das zuständige Jugendamt übertragen worden. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Die Gründe:
Es bestehen Anhaltspunkte für eine erhebliche Kindeswohlgefährdung. Die allgemeine Schulpflicht zielt nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und sozialen Fertigkeiten ab, die möglicherweise auch im familiären Rahmen erlernt werden können. Vielmehr dient die Schulpflicht auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen. Vorliegend sind die Corona-Maßnahmen längst nicht mehr der Grund für den fehlenden Schulbesuch. Stattdessen setzen die Eltern ihre eigene Einschätzung über die Bedeutung der Schulpflicht an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung. Durch dieses elterliche Verhalten wird nicht nur die Entwicklung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch dessen gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gefährdet.

Soweit die Eltern darauf hingewiesen haben, dass es dem Willen ihres Sohnes entspricht, zu Hause beschult zu werden, spielt dies keine Rolle. Denn eine so weitreichende und weichenstellende Entscheidung wie die Frage der Beschulung kann nicht dem Willen eines siebenjährigen Kindes anvertraut werden, das die damit zusammenhängenden Auswirkungen nicht annähernd überschauen kann.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Schulverweigerung wegen Ablehnung schulischer Pandemieschutzmaßnahmen [m. Anm. Rake, S. 1621]
KG vom 15.7.2022 - 13 UF 67/22
Ulrich Rake, FamRZ 2022, 1619

Rechtsprechung:
Schulverweigerung wegen Ablehnung schulischer Pandemieschutzmaßnahmen
KG vom 27.6.2022 - 17 UF 60/22
FamRZ 2022, 1623

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OLG Karlsruhe PM Nr. 16 vom 11.10.2022
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