25.09.2025

Unterhaltsschaden nach Körperverletzung mit Todesfolge

Im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gem. § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten genügt es den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Kläger die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt. Einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweisung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann.

BGH v. 24.6.2025 - VI ZR 204/23
Der Sachverhalt:
Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz von Unterhaltsschaden (§ 844 Abs. 2 BGB) sowie auf Feststellung, dass diese Verbindlichkeiten solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind, in Anspruch. Der Kläger zu 1) war der Ehemann der im Jahr 1979 geborenen und am 26.2.2018 verstorbenen M. Der Kläger zu 2) ist deren im Jahr 2004 geborenes gemeinsames Kind. Der früher als Arzt tätige Beklagte wurde mit rechtskräftigem Strafurteil der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit leichtfertigem Verursachen des Todes einer Person durch die Verabreichung von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, weil er der M. während des gemeinsam vollzogenen Geschlechtsverkehrs in seiner Wohnung am 20.2.2018 ohne deren Wissen auf nicht geklärtem Weg Kokain und andere Substanzen verabreichte, so dass die M. einige Tage später an den Folgen eines Herzkreislaufstillstandes im Krankenhaus verstarb. Wegen dieser Tat und weiterer Taten zum Nachteil anderer Sexualpartnerinnen wurde der Beklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

In einem früheren Verfahren haben die Kläger den Beklagten bereits erfolgreich auf Zahlung von Hinterbliebenengeld, Ersatz der Beerdigungskosten und hierauf bezogene Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Anspruch genommen.

Das LG sprach vorliegend die in erster Instanz noch beantragte Feststellung, dass der Beklagte zur Entrichtung einer Geldrente verpflichtet ist, aus und wies die Klage im Übrigen, d.h. hinsichtlich der begehrten Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, ab. Im Berufungsverfahren stellten die Kläger ihre Anträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens auf Leistungsanträge um. Sie begehrten nun Zahlung einer mtl. Geldrente, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts stellten, die beim Kläger zu 1) jedoch mindestens 500 €, beim Kläger zu 2) mindestens 400 € betragen sollte. Das OLG sprach die begehrte Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aus und wies die Zahlungsanträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens als unzulässig ab. 

Auf die Revision der Kläger sowie die Anschlussrevision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat die Anträge der Kläger auf Zahlung einer Unterhaltsrente zu Unrecht für unzulässig gehalten. Die Auffassung des OLG, die zuletzt gestellten Leistungsanträge der Kläger seien zu unbestimmt und genügten den nach § 253 ZPO an einen Klageantrag zu stellenden Anforderungen nicht, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Zu Unrecht ist das OLG davon ausgegangen, dass für einen unbezifferten Zahlungsantrag, der die Höhe des zuzusprechenden Geldbetrags in das Ermessen des Gerichts stelle, bei einer Klage auf materiellen Schadensersatz grundsätzlich kein Raum bleibe. Diese prinzipielle Ablehnung eines unbezifferten Antrags beim materiellen Schadensersatz verkennt, dass es nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gem. § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt, wenn der Kläger die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt. Nichts anderes kann für die Beantragung einer Geldrente zum Ersatz eines Unterhaltsschadens nach § 844 Abs. 2 BGB gelten, für die ebenfalls der Maßstab des § 287 ZPO greift.

Die Entscheidung des OLG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, § 561 ZPO. Die Klage war hinsichtlich der zuletzt gestellten Zahlungsanträge nicht schon deshalb als unzulässig abzuweisen, weil die insoweit von den Klägern in der Berufungsinstanz vorgenommene Umstellung ihrer Anträge von Feststellung auf Zahlung mangels Anschlussberufung der Kläger unzulässig gewesen wäre. Bei der Umstellung von einem Feststellungs- zu einem Zahlungsbegehren handelt es sich um eine Klageerweiterung i.S.d. § 264 Nr. 2 ZPO, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht. Eine solche Klageerweiterung setzt nach ständiger BGH-Rechtsprechung voraus, dass der Kläger entweder bereits zulässigerweise Berufung bzw. Anschlussberufung eingelegt hat und seinen Rechtsmittelangriff noch erweitern kann oder zum Zeitpunkt der Klageerweiterung noch zulässigerweise Berufung bzw. Anschlussberufung einlegen kann. Will der erstinstanzlich obsiegende Kläger das erstinstanzliche Urteil nicht nur gegen die Berufung des Beklagten verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern, bedarf es folglich im Regelfall der Anschlussberufung des Klägers.

Dies gilt jedoch nicht, wenn der mit einem Teil seiner Ansprüche erstinstanzlich abgewiesene Kläger insoweit ebenfalls Berufung eingelegt hat und sodann die Klage hinsichtlich des ihm erstinstanzlich zuerkannten Teils erweitert. Denn einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweisung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann. Für eine solche Klageerweiterung in zweiter Instanz gilt § 520 ZPO nicht, weshalb sie nicht an die Begründungsfrist gebunden ist, sondern bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung vorgenommen werden kann. Danach konnten die Kläger, die bezogen auf ihr Begehren zur Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung selbst wirksam Berufung eingelegt hatten, ihre Anträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens in der Berufungsverhandlung zu Leistungsanträgen erweitern, ohne dass es hierzu einer wirksamen Anschlussberufung bedurft hätte.

Auch die zulässige Anschlussrevision des Beklagten ist im Ergebnis begründet. Die Anschlussrevision macht im Ergebnis zu Recht geltend, dass das OLG nicht hätte feststellen dürfen, es handele sich bei den "Verbindlichkeiten des Beklagten" um solche aus unerlaubter Handlung, wenn es zugleich die Anträge der Kläger hinsichtlich dieser Verbindlichkeiten selbst als unzulässig abweist. Begehrt eine Partei gem. § 256 ZPO die Feststellung, es handele sich bei einer Forderung um eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, ist Streitgegenstand die Frage, ob ein entsprechendes Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner besteht. Das Gericht muss dann klären, ob dem Gläubiger ein materiell-rechtlicher Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zusteht. Es kann sich nicht darauf beschränken zu prüfen, ob der Schuldner im Hinblick auf die geltend gemachte Forderung vorsätzlich gehandelt hat. Demzufolge erweist sich die vom OLG ausgesprochene isolierte Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung als rechtsfehlerhaft, weil das OLG zugleich die Anträge der Kläger auf Ersatz des Unterhaltsschadens abgewiesen hat.

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