10.11.2025

Vergleich: Einigung der Anwälte über Verlängerung der Widerrufsfrist formlos möglich

Dass für die Verlängerung der in einem unter Widerruf geschlossenen Vergleich bestimmten Widerrufsfrist im Anwaltsprozess gem. § 78 ZPO grundsätzlich der Anwaltszwang gilt, bedeutet vorbehaltlich besonderer Anordnung nicht, dass die Mitwirkung des Anwalts an eine bestimmte äußere Form gebunden wäre. Die Prozessbevollmächtigten der Parteien können sich über eine solche Fristverlängerung formlos einigen. Vereinbarungen über die Verlängerung einer Widerrufsfrist unterliegen weder dem Protokollierungszwang, noch müssen hierfür anwaltliche Schriftsätze i.S.d. §§ 129 ff. ZPO ausgetauscht werden.

OLG Köln v. 22.10.2025 - 11 U 116/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin, die als Subunternehmerin für die Beklagte tätig war, nimmt diese auf Restwerklohn für Dachabdichtungsarbeiten in Anspruch. Die Beklagte verteidigt sich u.a. mit einem zur Aufrechnung gestellten Schadenersatzanspruch wegen eines nach Beklagtenvortrag von der Klägerin durch mangelhafte Leistung verursachten Wasserschadens, wobei die Verantwortlichkeit der Klägerin hierfür und der Schaden nach Grund und Höhe streitig sind. Die Klägerin begehrte auf Grundlage ihrer Rechnungen Zahlung von rd. 57.000 € nebst Zinsen. In der mündlichen Verhandlung schlossen die Parteien einen Widerrufsvergleich, der eine Restzahlung der Beklagten i.H.v. 15.000 € vorsieht und mit dem die Werklohnansprüche und die Ansprüche wegen des Wasserschadens ausgeglichen und erledigt sein sollten. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde nachgelassen, diesen Vergleich zu widerrufen durch Einreichung eines anwaltlichen Schriftsatzes bei Gericht bis zum 26.7.2024.

Für den Fall des Widerrufs beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin rd. 57.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Am 25.7.2024 baten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten um Zustimmung zur Verlängerung der Widerrufsfrist bis 9.8.2024. Sie erhielten daraufhin am selben Tag zu Händen von Rechtsanwalt R. eine E-Mail von der Adresse des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, wonach keine Bedenken gegenüber der Fristverlängerung bestünden (darunter der Zusatz "i.A. O.X., Assistentin; Dr. S. F., Rechtsanwalt")

Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 26.7.2024 informierten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Gericht darüber, dass sich die Parteien geeinigt hätten, dass für die Klägerin die Widerrufsfrist bis zum 9.8.2024 erstreckt werde. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten mit E-Mail vom 25.7.2024 ihre Zustimmung zur Fristverlängerung erteilt. Mit Schriftsatz vom 8.8.w2024 widerriefen die Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Vergleich. Das Gericht wies daraufhin u.a. auf den aus seiner Sicht erforderlichen Anwaltszwang bei einer einvernehmlichen Verlängerung der Widerrufsfrist hin. Daraufhin reichten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die E-Mail vom 25.7.2024 zur Akte und teilten mit, die E-Mail sei von einer Sekretariatsmitarbeiterin nach Rücksprache mit dem unterzeichnenden Rechtsanwalt verfasst und abgeschickt worden.

Das LG stellte fest, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 28.6.2024 beendet ist. Die Widerrufsfrist sei nicht wirksam verlängert worden. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist eine Aufhebung und Zurückverweisung möglich, sofern durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist. Diese Norm ist entsprechend anzuwenden, wenn mit dem angefochtenen Urteil (zu Unrecht) festgestellt wird, dass der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet worden ist. So verhält es sich auch hier.

Entgegen der Einschätzung des LG ist der Rechtsstreit nicht durch wirksamen Prozessvergleich beendet worden. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2024 zwar einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt geschlossen. Der Vergleich ist aber wirksam widerrufen worden und hat daher keine prozessbeendende Wirkung entfaltet. Der in einen Prozessvergleich aufgenommene Vorbehalt, den Vergleich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist zu widerrufen, stellt im Regelfall eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs dar. Mit dem fristgerechten Widerruf ist die Bedingung im Streitfall ausgefallen.

Zutreffend ist im Ansatz weiterhin, dass eine unter den Parteien vereinbarte Verlängerung der Widerrufsfrist dem Anwaltszwang unterliegt, § 78 ZPO, da die Parteivereinbarung der Verlängerung der Widerrufsfrist (auch) Prozesshandlung ist. Dies entspricht einhelliger Meinung in der Rechtslehre. Eine rein zwischen den Parteien durch ihre jeweiligen gesetzlichen Vertreter getroffene Vereinbarung würde dem nicht genügt haben. Hier haben jedoch an der Einigung beide Rechtsanwälte mitgewirkt; beide haben die jeweilige materielle Entscheidung über die Bitte um Verlängerung bzw. Zustimmung hierzu persönlich getroffen und die Mitteilung an die Gegenseite veranlasst.

Von Rechtsfehlern beeinflusst ist aber die Ansicht des LG, die vorgenannte Einigung der Prozessbevollmächtigten sei an eine bestimmte Form gebunden, die im Urteil als "Anwaltszwang mit anwaltlichen Schriftsätzen" bezeichnet ist. Eine solche Form sieht die ZPO nicht vor. Dass für die Verlängerung der in einem unter Widerruf geschlossenen Vergleich bestimmten Widerrufsfrist im Anwaltsprozess gem. § 78 ZPO grundsätzlich der Anwaltszwang gilt, bedeutet vorbehaltlich besonderer Anordnung nicht, dass die Mitwirkung des Anwalts an eine bestimmte äußere Form gebunden wäre. Die Prozessbevollmächtigten der Parteien können sich über eine solche Fristverlängerung - wie hier - formlos einigen. Vereinbarungen über die Verlängerung einer Widerrufsfrist unterliegen weder dem Protokollierungszwang, noch müssen hierfür anwaltliche Schriftsätze i.S.d. §§ 129 ff. ZPO ausgetauscht werden.

Entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin war die Sache auf der Grundlage von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO an das LG zurückzuverweisen, soweit über die die Klage in der Sache nicht entschieden wurde.

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