Vorkaufsrecht des Mieters: Verkauf der Wohnräume von Gesellschaft an Personenhandelsgesellschaft bei Personenidentität der Gesellschafter
BGH v. 8.10.2025 - VIII ZR 18/24Die Kläger sind seit März 2000 Mieter einer Doppelhaushälfte in N. Eigentümerin des mit diesem Gebäude bebauten und im Grundbuch von N unter der laufenden Nummer 1 verzeichneten Grundstücks war die beklagte GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer T.S. ist. In dem schriftlichen Mietvertrag von November 1999 wird als Vermieter "S." unter Angabe der Anschrift der Beklagten aufgeführt. Im Dezember 1999 begrüßte die W. KG die Kläger per Schreiben als "neuen Mieter in unserer Verwaltung". Komplementär dieser Gesellschaft war ebenfalls T.S.; die Beklagte war deren Kommanditistin
In der Folgezeit kam es zu der Realteilung des Grundstücks in mehrere einzelne Grundstücke. In der Spalte 6 des Bestandsverzeichnisses im Grundbuch findet sich folgender Vermerk: "Nr. 1 geteilt und unter Nr. 3 bis Nr. 19 gem. der Fortführungsmitteilung [...] eingetragen am 30.3.2000." Die vermietete Doppelhaushälfte befand sich auf dem Grundstück mit der laufenden Nr. 6. Im April 2000 veräußerte die Beklagte das vorbezeichnete Grundstück an die W. KG zum Preis von 400.000 DM (rd. 205.000 €). Das Grundstück mit der laufenden Nr. 6 wurde dabei auf ein anderes Grundbuchblatt übertragen. In den Jahren 2002 bis 2017 zeigten die Kläger wiederholt Interesse an dem Erwerb der von ihnen bewohnten Doppelhaushälfte und erhielten in den Jahren 2004, 2007, 2010, 2011 und 2017 mehrere Kaufangebote. Ein Kaufvertrag kam jedoch nicht zustande.
Im Februar 2019 erklärten die Kläger per Anwaltsschreiben die Ausübung des ihnen ihrer Ansicht nach zustehenden Vorkaufsrechts. Im April 2019 forderten sie die Beklagte unter Fristsetzung zur Abgabe einer Erklärung auf, ob sie zur Übereignung des Grundstücks zu den seinerzeit (mit der W. KG) vereinbarten Konditionen bereit und in der Lage sei. Die Beklagte lehnte eine solche Übereignung ab. Mit ihrer Klage nahmen die Kläger die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. rd. 195.000 € (die Differenz zwischen dem von den Klägern errechneten Verkehrswert des Grundstücks und dem von der W. KG gezahlten Kaufpreis) nebst Zinsen in Anspruch. Die Beklagte stellte das Bestehen eines Vorkaufsrechts der Kläger in Abrede und erhob die Einrede der Verjährung.
AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte gem. § 311a Abs. 1, 2 Satz 1 Alt. 1, § 275 Abs. 1, 4, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB wegen der anfänglichen subjektiven Unmöglichkeit der Übereignung des mit der Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks an die Kläger nicht verneint werden. Zwar hat das LG im Ergebnis zu Recht die Begründung eines Vorkaufsrechts der Kläger in analoger Anwendung von § 570b Abs. 1 BGB in der hier anzuwendenden, bis zum 31.7.2001 geltenden Fassung (a.F.) und das Zustandekommen eines Kaufvertrags über das vorbezeichnete Grundstück zwischen den Parteien aufgrund der Ausübung dieses Vorkaufsrechts sowie die anfängliche Unmöglichkeit der Übereignung des Grundstücks durch die Beklagte an die Kläger bejaht. Das LG hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Geltendmachung eines auf diese Unmöglichkeit gestützten Schadensersatzanspruchs durch die Kläger wegen widersprüchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich bzw. ein solcher Anspruch verwirkt sei.
Der Mieter ist gem. § 570b Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. zum Vorkauf berechtigt, wenn vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft werden. Dies gilt nicht, wenn der Vermieter die Wohnräume an eine zu seinem Hausstand gehörende Person oder an einen Familienangehörigen verkauft (§ 570b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Den Vorkaufsverpflichteten trifft bei rechtzeitiger Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Vorkaufsberechtigten aus dem hierdurch zustande kommenden Kaufvertrag nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB die Pflicht, diesem das Eigentum am Vorkaufsgegenstand zu verschaffen. Kann er diese Verpflichtung aufgrund einer - wie hier - bereits zuvor erfolgten Eigentumsübertragung auf einen Dritten nicht mehr erfüllen, steht dem Vorkaufsberechtigten ein Schadensersatzanspruch nach § 311a Abs. 1, 2 Satz 1 Alt. 1, § 275 Abs. 1, 4, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB zu. Bei der vorzunehmenden Beurteilung der Frage, ob den Klägern ein solcher Schadensersatzanspruch zusteht, sind dem LG Rechtsfehler unterlaufen.
Das LG hat allerdings im Ergebnis rechtsfehlerfrei das Entstehen eines Vorkaufsrechts der Kläger gem. § 570b BGB a.F. analog durch den am 14.4.2000 erfolgten Abschluss des Kaufvertrags über das mit der Doppelhaushälfte bebaute Grundstück zwischen der Beklagten und der W. KG bejaht. Bei der W. KG handelt es sich um einen Dritten i.S.v. § 570b Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. (§ 577 Abs. 1 Satz 1 BGB), obwohl der Alleingesellschafter S. der beklagten Kapitalgesellschaft zum Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks durch die W. KG deren Komplementär und die Beklagte deren Kommanditistin war. Auch die Veräußerung von vermieteten Wohnräumen, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an eine Personenhandelsgesellschaft, deren Gesellschafter mit denen der veräußernden Gesellschaft personenidentisch sind, stellt - entgegen einer in der Instanzrechtsprechung und dem Schrifttum teilweise vertretenen Ansicht - einen Verkauf an einen Dritten i.S.v. § 570b Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. (§ 577 Abs. 1 Satz 1 BGB) dar. Dies gilt auch bei einer nach der Überlassung - wie hier - vollzogenen oder beabsichtigten Realteilung des mit den vermieteten Räumen bebauten Grundstücks. Dafür sprechen u.a. der Wortlaut und der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Vorschrift verfolgte Zweck.
Ausgehend hiervon ist mit dem Abschluss des Kaufvertrags zwischen der Beklagten und der W. KG ein Verkauf an einen Dritten i.S.v. § 570b Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. erfolgt, so dass ein Vorkaufsrecht der Kläger begründet worden ist. Rechtsfehlerhaft hat das LG jedoch angenommen, die Kläger seien gem. § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens an der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gehindert. Der Schadensersatzanspruch der Kläger ist - entgegen der Annahme des LG - auch nicht verwirkt. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Insbesondere ist der Schadensersatzanspruch der Kläger gem. § 311a Abs. 1, 2 Satz 1, § 275 Abs. 1, 4, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB nicht gem. den hier nach Art. 229 § 6 EGBGB anwendbaren Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 3 BGB verjährt.
Kommentierung | BGB
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Böttcher in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 275 Ausschluss der Leistungspflicht
Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 281 Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung
Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 311a Leistungshindernis bei Vertragsschluss
Dieckmann in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 577 Vorkaufsrecht des Mieters
Lützenkirchen/Selk in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
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