Vorschussanspruch des Mieters kann Kündigung wegen Zahlungsverzugs ausschließen
LG Berlin II v. 9.4.2025, 64 S 101/24
Der Sachverhalt:
Die Beklagte wohnt mit ihren drei minderjährigen Kindern seit Dezember 2017 in einer möblierten Dreizimmerwohnung der Klägerin. Dort kam es in der Vergangenheit zu Wasserschäden und es trat Schimmel auf. Das Fenster im Kinderzimmer war seit 2018 undicht und ließ sich nicht richtig schließen. Nachdem die Beklagte kurz nach ihrem Einzug aufgetretenen Schimmel noch selbst beseitigt hatte, trat dieser im Winter 2018/2019 wiederum auf. Die Beklagte verlangte deshalb ab April 2019 Mangelbeseitigung und zahlte die Miete nur gemindert. Sie habe mit einem Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung aufgerechnet.
Die Klägerin berief sich auf fehlende Mitwirkung an der Sanierung und kündigte das Mietverhältnis mehrfach wegen Zahlungsverzugs. Das AG wies die Klage ab und verurteilte die Vermieterin zur Mängelbeseitigung. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin weitestgehend zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das Mietverhältnis ist nicht gem. §§ 543 Abs. 3, 569 BGB fristlos oder gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ordentlich beendet worden, sondern dauert fort, sodass der Klägerin ein fälliger Anspruch aus §§ 985, 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nicht zusteht. Die Beklagte ist zu den Zeitpunkten der Kündigungserklärungen nicht mit Mietbeträgen in Verzug gewesen, die eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs hätten rechtfertigen können. Sie konnte sich auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB i.V.m. § 536a Abs. 2 BGB berufen. Die Verpflichtung zur vollständigen Neuverfliesung war jedoch auf die Wiederherstellung der beschädigten Flächen zu beschränken; insoweit war die Berufung begründet.
Zwar hatte die ursprünglich erklärte Aufrechnung nicht den Anforderungen des § 388 BGB genügt, sie war jedoch als Leistungsverweigerungsrecht umzudeuten. Die Erklärung, "mit dem Anspruch auf die Kosten für die Mängelbeseitigung" aufzurechnen, stellt eine prozessual zulässige Aufrechnungserklärung nur dar, wenn die zur Aufrechnung gestellte Aktivforderung entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nach Gegenstand und Grund hinreichend genau bezeichnet ist; dies setzt die konkrete Angabe der zu beseitigenden Mängel sowie zumindest die Skizzierung der durchzuführenden Maßnahmen und der dadurch entstehenden Kosten voraus.
Ein Leistungsverweigerungsrecht ist nicht wie § 320 BGB zeitlich begrenzt und besteht unabhängig von einer konkreten Bezifferung, sofern der geltend gemachte Vorschussanspruch - wie hier - den Mietrückstand übersteigt. Die ausdrückliche Erhebung der Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB wirkt ex tunc auf den Zeitpunkt der Entstehung des Zurückbehaltungsrechts zurück, lässt also einen etwaigen Kündigungsgrund wegen Zahlungsverzugs rückwirkend entfallen. Neben dem - bloß vorübergehenden - Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB, welches zudem zeitlich und betragsmäßig beschränkt ist, steht einer Mieterin im Falle eines bestehenden Selbstbeseitigungsrechts Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe der zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten zu, mit dem sie gegen die Miete aufrechnen kann. Wegen dieses Vorschussanspruchs steht der Mieterin neben der Aufrechnung während der "Ansparung" des Vorschussbetrages auch ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB i.V.m. § 536a Abs. 2 BGB zu.
Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 oder § 320 BGB entfällt, wenn der Mieter ein ordnungsgemäß angebotenes Sanierungskonzept nach § 294 BGB verweigert. Dazu muss die Ankündigung nach § 555a Abs. 2 BGB Beginn, Dauer und Einschränkungen der Maßnahme schlüssig benennen. Wird die Nutzbarkeit des einzigen Bades pauschal zugesichert, obwohl es faktisch gesperrt werden muss, liegt kein wirksames Angebot vor. Insofern stellte sich die Einschätzung der Klägerin, das WC werde während der Fliesenarbeiten - außer für einen Zeitraum von maximal fünf Stunden, den die Estrichausgleichsmasse zum Trocknen benötige - durchgehend nutzbar bleiben, als offensichtlich unzutreffend dar. Es blieb unverständlich, wie Handwerker das Bad als Baustelle einrichten und dort über Tage hinweg arbeiten sollen, während die Beklagte und ihre vier Kinder gleichzeitig auf die Benutzung der einzigen dort befindlichen Toilette der Wohnung angewiesen sein würden.
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LG Berlin II
Die Beklagte wohnt mit ihren drei minderjährigen Kindern seit Dezember 2017 in einer möblierten Dreizimmerwohnung der Klägerin. Dort kam es in der Vergangenheit zu Wasserschäden und es trat Schimmel auf. Das Fenster im Kinderzimmer war seit 2018 undicht und ließ sich nicht richtig schließen. Nachdem die Beklagte kurz nach ihrem Einzug aufgetretenen Schimmel noch selbst beseitigt hatte, trat dieser im Winter 2018/2019 wiederum auf. Die Beklagte verlangte deshalb ab April 2019 Mangelbeseitigung und zahlte die Miete nur gemindert. Sie habe mit einem Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung aufgerechnet.
Die Klägerin berief sich auf fehlende Mitwirkung an der Sanierung und kündigte das Mietverhältnis mehrfach wegen Zahlungsverzugs. Das AG wies die Klage ab und verurteilte die Vermieterin zur Mängelbeseitigung. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin weitestgehend zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das Mietverhältnis ist nicht gem. §§ 543 Abs. 3, 569 BGB fristlos oder gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ordentlich beendet worden, sondern dauert fort, sodass der Klägerin ein fälliger Anspruch aus §§ 985, 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nicht zusteht. Die Beklagte ist zu den Zeitpunkten der Kündigungserklärungen nicht mit Mietbeträgen in Verzug gewesen, die eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs hätten rechtfertigen können. Sie konnte sich auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB i.V.m. § 536a Abs. 2 BGB berufen. Die Verpflichtung zur vollständigen Neuverfliesung war jedoch auf die Wiederherstellung der beschädigten Flächen zu beschränken; insoweit war die Berufung begründet.
Zwar hatte die ursprünglich erklärte Aufrechnung nicht den Anforderungen des § 388 BGB genügt, sie war jedoch als Leistungsverweigerungsrecht umzudeuten. Die Erklärung, "mit dem Anspruch auf die Kosten für die Mängelbeseitigung" aufzurechnen, stellt eine prozessual zulässige Aufrechnungserklärung nur dar, wenn die zur Aufrechnung gestellte Aktivforderung entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nach Gegenstand und Grund hinreichend genau bezeichnet ist; dies setzt die konkrete Angabe der zu beseitigenden Mängel sowie zumindest die Skizzierung der durchzuführenden Maßnahmen und der dadurch entstehenden Kosten voraus.
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Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 oder § 320 BGB entfällt, wenn der Mieter ein ordnungsgemäß angebotenes Sanierungskonzept nach § 294 BGB verweigert. Dazu muss die Ankündigung nach § 555a Abs. 2 BGB Beginn, Dauer und Einschränkungen der Maßnahme schlüssig benennen. Wird die Nutzbarkeit des einzigen Bades pauschal zugesichert, obwohl es faktisch gesperrt werden muss, liegt kein wirksames Angebot vor. Insofern stellte sich die Einschätzung der Klägerin, das WC werde während der Fliesenarbeiten - außer für einen Zeitraum von maximal fünf Stunden, den die Estrichausgleichsmasse zum Trocknen benötige - durchgehend nutzbar bleiben, als offensichtlich unzutreffend dar. Es blieb unverständlich, wie Handwerker das Bad als Baustelle einrichten und dort über Tage hinweg arbeiten sollen, während die Beklagte und ihre vier Kinder gleichzeitig auf die Benutzung der einzigen dort befindlichen Toilette der Wohnung angewiesen sein würden.
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