30.10.2023

Wann ist eine Streitigkeit wegen ehrverletzender Äußerungen eine Wohnungseigentumssache?

Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung oder Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch, handelt es sich nur dann um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF (bzw. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG), wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt unabhängig von Inhalt und Anlass der Äußerung.

BGH v. 22.9.2023 - V ZR 254/22
Der Sachverhalt:
Eine GbR, deren Gesellschafter der Kläger und seine Ehefrau sind, und der Beklagte und dessen Ehefrau bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Anlage besteht aus zwei Doppelhaushälften. Zwischen den Parteien kam es zu diversen, auch gerichtlichen Auseinandersetzungen über wohnungseigentumsrechtliche Angelegenheiten. U.a. ging es um die Reinigung der Entwässerungsrinnen auf dem Vorplatz der Carports.

Im März 2018 wurden der Beklagte und seine Ehefrau zur Reinigung der Entwässerungsrinnen in einem bestimmten Zeitraum verurteilt. Im August 2018 kam es zu einem Zusammentreffen der Parteien auf dem Grundstücksvorplatz. Während eines Wortwechsels sagte der Beklagte zu dem Kläger: "Sie sind sowieso eine Lachfigur, Sie Idiot."

Nach dem Vorbringen des Klägers erfolgten die Äußerungen des Beklagten vor dem Hintergrund, dass er ihm die Nichterfüllung der titulierten Reinigungspflicht vorgehalten hatte. Der Kläger mahnte den Beklagten ab, woraufhin dieser eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgab.

Mit der Klage verlangt der Kläger Ausgleich der Abmahnkosten iHv. ca. 420,- €. Das AG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von ca. 150,- €. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das LG zunächst wegen Nichterreichens der erforderlichen Berufungssumme als unzulässig verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben (BGH v. 16.11.2021 - VI ZB 58/20) und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das LG dem Kläger weitere 8,60 € (Zustellungskosten) zugesprochen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.

Der Kläger rügte, das Berufungsgericht habe seine Zuständigkeit unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters bejaht, weil seiner Ansicht nach der Rechtsstreit an die für Wohnungseigentumssachen zuständige Kammer des LG hätte zugewiesen werden müssen.

Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die von dem Kläger gemäß § 547 Abs. 1 ZPO erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe seine Zuständigkeit unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bejaht und sei deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist unbegründet. Der Kläger ist jedenfalls deshalb nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen worden, weil es sich bei dem Rechtsstreit nicht um eine der Zivilkammer 18 zugewiesene Wohnungseigentumssache handelt.

Da der Rechtsstreit im Jahr 2019 und damit vor dem am 1.12.2020 erfolgten Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) vom 16.10.2020 anhängig geworden ist, finden gemäß Art. 1, 4, 18 WEMoG, § 48 Abs. 5 WEG noch die bisherigen Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes und damit § 43 Nr. 1 bis 6 WEG aF Anwendung.

In Betracht käme hier nur das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF. Erfasst werden von dieser Vorschrift "Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander". Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.

Entscheidend ist deshalb, ob die Voraussetzungen des § 43 Nr. 1 WEG aF in sachlicher Hinsicht vorliegen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsgrundlagen, auf die ein Kläger seine Klageansprüche stützt, im Wohnungseigentumsgesetz wurzeln. Es ist deshalb im Ausgangspunkt unschädlich, dass der Kläger hier seine Ansprüche aus dem allgemeinen Zivilrecht (§ 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, § 1004 Abs. 1 BGB analog) herleitet. Nach der Rechtsprechung des Senats zum bisherigen Recht ist maßgeblich allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer (oder ihm gleichstehenden Personen) in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist.

An dem Erfordernis des inneren Zusammenhangs mit den Rechten und Pflichten als Wohnungseigentümer hat sich im Ausgangspunkt trotz der im Vergleich zum bisherigen Recht weiter gefassten Formulierung, die § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG durch das WEMoG erfahren hat ("Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander"), nichts geändert. Geklärt hat der Gesetzgeber insoweit nur, dass Streitigkeiten über die sachenrechtlichen Grundlagen der GdWE Wohnungseigentumssachen sind.

Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung oder Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch, handelt es sich nur dann um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit (§ 43 Nr. 1 WEG aF, § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG), wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt unabhängig von Inhalt und Anlass der Äußerung. Entgegen der Auffassung der Revision ist es deshalb unerheblich, dass sich die verbale Auseinandersetzung der Parteien an der - wohnungseigentumsrechtlich zu beantwortenden - Frage der Erfüllung von Reinigungspflichten entzündet hat.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Streitigkeit wegen ehrverletzender Äußerungen als Wohnungseigentumssache
BGH vom 17.11.2016 - V ZB 73/16
MDR 2017, 78

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