15.11.2021

Wann stellt die Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts eine unangemessene Benachteiligung dar?

Die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum stellt auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung dar, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Hat der Vermieter den Vorsatz, eine falsche Betriebskostenabrechnung mit wahrheitswidrigen Angaben zu verteidigen, bedarf die Kündigung des Mietverhältnisses aus wichtigem Grund durch den Mieter keiner vorherigen Abmahnung.

BGH v. 6.10.2021 - XII ZR 11/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Durchsetzung einer Betriebspflicht (Einhalten von Kernöffnungszeiten) aus einem Mietvertrag über ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World"-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires".

Die Vertragschließenden hatten eine entsprechende Sortimentsbindung des Beklagten vereinbart, außerdem den Ausschluss eines Konkurrenz-, Sortiments- und Branchenschutzes für den Beklagten und ihm die Betriebspflicht auferlegt, die Ladengeschäfte zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag, 9 Uhr bis 22 Uhr, geöffnet zu halten.

Nach Meinungsverschiedenheiten u.a. über Betriebskosten hielt der Beklagte die vereinbarten Öffnungszeiten nicht mehr ein. Die formularmäßig vereinbarte Betriebspflicht sei unwirksam, da sie ihn unangemessen benachteilige.

Die Vermieterin klagte auf Einhaltung der Öffnungszeiten. Der Beklagte sprach unterdessen mehrere Kündigungen des Mietverhältnisses aus, wobei insbesondere streitig war, ob zur Wirksamkeit der Kündigung eine Abmahnung hätte vorausgehen müssen. Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das KG den Beklagten u.a. zur Einhaltung der als Betriebspflicht vereinbarten Öffnungszeiten.

Der BGH gab der Revision des Beklagten statt und verwies die Sache an das KG zurück.

Die Gründe:
Zutreffend ist das KG zunächst davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall die dem Beklagten auferlegte Betriebspflicht keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB darstellt.

Zwar ist die formularmäßige Vereinbarung einer Betriebs- und Offenhaltungspflicht für sich genommen im Regelfall nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Nicht mehr angemessen ist es hingegen, wenn die Formularbedingungen - unter Einschluss einer engen Sortimentsbindung - kumulativ vereinbart werden.

Allerdings steht bei der Betrachtung der kumulativ aufgenommenen Formularbedingungen nicht hauptsächlich oder allein die Angemessenheit der Betriebspflicht mit Sortimentsbindung im Blickfeld, sondern der Ausschluss des Konkurrenzschutzes. Denn bei ihm handelt es sich um einen Eingriff in die Hauptleistungspflicht des Vermieters.

Mit dem formularmäßigen Ausschluss des Konkurrenzschutzes schränkt der Vermieter seine Hauptleistungspflicht ein. Werden durch eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, ist gemäß § 307 Abs. 2 BGB im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen. So liegt der Fall, wenn in einem typischen Einkaufszentrum durch formularmäßigen Mietvertrag jeglicher Konkurrenzschutz ausgeschlossen, gleichzeitig jedoch dem Mieter eine Betriebspflicht mit enger Sortimentsbindung auferlegt wird.

In diese Situation wird der Mieter allerdings nur dann gebracht, wenn der Vertrag eine strenge Sortimentsbindung enthält, die dem Mieter eine substantielle Veränderung des eigenen Angebots verbietet. Demgegenüber hat der Senat bereits entschieden, dass eine Betriebspflicht auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist.

So verhält es sich auch im vorliegenden Fall: Die vereinbarte Nutzung als "Einzelhandelsgeschäft für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikel und Assessoires" eröffnet ein breites Spektrum an z.B. (bedruckten) Kleidungsstücken, Haushaltswaren, Schmuck und Kleinigkeiten, kunstgewerblichen Gegenständen, Artikeln zur Wohnungsgestaltung, Scherzartikeln und Souvenirs sowie etwa Handtaschen, Halstüchern und Gürteln, aus dem der Mieter sein Angebot zusammenstellen und damit einer sich bietenden Konkurrenzsituation ausweichen kann. Auch wenn sich aus der Bezeichnung auf eine vage abgrenzbare Sortimentsbeschränkung schließen ließe, so hätte diese Beschränkung eine diffuse und umfänglich kaum begrenzbare Reichweite. Im Umfang einer derart äußerst vage getroffenen Zweck- und Sortimentsbestimmung ist es der Klägerin nicht zumutbar, dem Beklagten Sortiments- und Konkurrenzschutz zu gewähren, und benachteiligen die Klauseln den Beklagten nicht unangemessen. Ein - als Kehrseite der Sortimentsbindung vereinbarter - Sortiments- und Konkurrenzschutz würde folglich für die Klägerin ein Risiko bergen, das die Vermietbarkeit der übrigen Ladengeschäfte im Einkaufszentrum nachhaltig beeinträchtigen würde. Im Ergebnis ist deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden.

Jedoch beruht die Würdigung des KG, das Mietverhältnis sei nicht spätestens durch außerordentliche Kündigung des Beklagten beendet worden, auf keinen tragfähigen Feststellungen. Den Rügen der Revision hält die Annahme des KG nicht stand, wonach es im Hinblick auf diesen Kündigungsgrund an einer vorherigen notwendigen Abmahnung fehlt.

Zwar ist gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB die Kündigung, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag besteht, erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt nach § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB aber nicht, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Hiernach bedurfte es keiner Abmahnung, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung bereits einen zumindest bedingten Vorsatz gefasst hatte, ihre falsche Abrechnung ggf. mit wahrheitswidrigen Angaben zu verteidigen.
BGH online
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