10.09.2025

Widerruf eines Basisrentenversicherungsvertrags ("Rürup-Rente")

Auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerrufsbelehrung kann die Geltendmachung des Widerrufsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen. Die Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile, die mit dem gewählten Vertragsmodell zwangsläufig verbunden sind, sind in der Regel kein besonders gravierender Umstand.

BGH v. 9.7.2025 - IV ZR 161/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Rückabwicklung eines Basisrentenversicherungsvertrags (sog. Rürup-Rente) nach erklärtem Widerruf, hilfsweise Schadensersatz wegen einer Beratungspflichtverletzung. Die Klägerin hatte im Dezember 2009 den Vertrag abgeschlossen und fortan die entsprechenden Beiträge gezahlt. Im Oktober 2010 erklärte sie sich, nachdem sie von der Beklagten aufgrund geänderter gesetzlicher Vorgaben nach dem Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge - und Basisrentenverträgen (AltZertG) und zum Erhalt der steuerlichen Vorteile hierzu aufgefordert worden war, damit einverstanden, dass der Vertrag auf die neuen Zertifizierungsbedingungen umgestellt wird. Sie leistete zudem Zuzahlungen im November 2012 i.H.v. 2.000 € und im Dezember 2013 i.H.v. 3.000 €, nachdem diese zuvor von der Beklagten gewünscht bzw. beworben worden waren.

Mit Schreiben vom 14.10.2021 erklärte die Klägerin den Widerruf ihrer Vertragserklärung und verlangte die Rückabwicklung des Vertrags. Dem entsprach die Beklagte nicht. Das LG hat die auf Zahlung von 41.500 € gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung bestätigt. Die Klägerin verstoße mit ihrer Rechtsausübung gegen Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens. Dabei könne dahinstehen, ob dies bereits daraus folge, dass die Beklagte den Vertrag mit ihrer Einverständniserklärung vom 24.10.2010 auf die neuen Zertifizierungsbedingungen umgestellt habe. Unzweifelhaft komme der Wille der Klägerin, an dem Vertrag festhalten zu wollen, jedenfalls darin zum Ausdruck, dass sie im November 2012 und im Dezember 2013 Zuzahlungen geleistet und den Vertrag viele Jahre fortgeführt habe.

Auf die Revision der Klägerin hat der BGH den Beschluss des Berufungsgerichtes  aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Widerrufsfrist des § 8 Abs. 1 VVG in der hier im Dezember 2009 maßgeblichen Fassung (VVG a.F.) nicht in Gang gesetzt wurde, da die Beklagte die Klägerin inhaltlich nicht ordnungsgemäß i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG a.F. über ihr Widerrufsrecht belehrt hatte. Der geltend gemachte Anspruch war jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf der Grundlage der bislang von ihm getroffenen Feststellungen nicht ausnahmsweise aufgrund des Vorliegens besonders gravierender Umstände nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Zwar kann auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerrufsbelehrung  die Geltendmachung des Widerrufsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts genügten jedoch nicht zur Annahme besonders gravierender Umstände. Die von der Klägerin veranlassten Zuzahlungen waren nach der Senatsrechtsprechung in der Regel keine besonders gravierenden Umstände, die im Ausnahmefall auch dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Widerrufsrechts und daraus folgender Erstattungsansprüche verwehren konnten, sondern gehörten zu einer gewöhnlichen Vertragsdurchführung.

Auch der vom Berufungsgericht erwogene Umstand, dass die Einverständniserklärung den Willen der Klägerin erkennen lasse, in den Genuss der ihr durch den Basisrenten-Vertrag vermittelten - und in der Folge auch jahrelang in Anspruch genommenen - Steuervorteile zu kommen, was gerade seine Wirksamkeit voraussetze, hielt sich im Rahmen einer gewöhnlichen Vertragsdurchführung. Der Senat hat zwischenzeitlich klargestellt, dass die Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile, die mit dem gewählten Vertragsmodell zwangsläufig verbunden sind, in der Regel keinen besonders gravierenden Umstand darstellen kann (vgl. BGH v. 4.9.2024 - IV ZR 365/22, VersR 2025, 333; BGH v. 10.7.2024 - IV ZR 196/22, VersR 2024, 1192).

Somit war die Entscheidung aufzuheben. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der obigen Ausführungen im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob der Klägerin ein Widerrufsrecht hinsichtlich des streitgegenständlichen Rentenversicherungsvertrags zusteht. Dabei wird es ggf. berücksichtigen müssen, dass gem. § 312b Abs. 1 BGB in der ab dem 8.12.2004 bis zum 22.2.2011 gültigen Fassung ein Fernabsatzvertrag vorliegen könnte und dementsprechend der Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271 S. 16) eröffnet sein könnte.

Mehr zum Thema:

Entscheidung der Vorinstanz
Treuwidriger Widerruf einer auf Abschluss eines Basisrentenversicherungsvertrags ("Rürup-Rente") gerichteten Willenserklärung
OLG Hamm vom 06.07.2023 - 20 U 342/22
VersR 2023, 1283

Rechtsprechung
Treuwidrige Geltendmachung des Widerspruchsrechts bei fehlender oder fehlerhafter Widerspruchsbelehrung
BGH vom 04.09.2024 - IV ZR 365/22
VersR 2025, 333

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines fondsgebundenen steuerbegünstigten Rentenversicherungsvertrags (sog. Rürup-Rente)
BGH vom 10.07.2024 - IV ZR 196/22
VersR 2024, 1192

Beratermodul VersR - Zeitschrift für Versicherungsrecht
Das Beratermodul für den gezielten digitalen Zugriff auf sämtliche Inhalte der VersR inklusive online Archiv. Jetzt 4 Wochen gratis nutzen. Mit dem Beratermodul VersR haben Sie Zugriff auf das Archiv der Zeitschrift VersR seit 1970 mit jeweils 24 Ausgaben pro Jahr. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online