19.07.2023

www.handelsregister.de: Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger ist allgemeinkundige Tatsache

Die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger ist eine allgemeinkundige Tatsache i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO.

BGH v. 24.5.2023 - VII ZB 69/21
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin begehrt die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen zweier Versäumnisurteile sowie eines Kostenfestsetzungsbeschlusses jeweils mit einer Rechtsnachfolgeklausel. Die E. GmbH (Titelgläubigerin) erwirkte gegen den Antragsgegner ein Versäumnisurteil; nach Einspruchseinlegung erging ein - rechtskräftiges - Zweites Versäumnisurteil. Mit Beschluss vom 27.8.2020 setzte das AG die von dem Antragsgegner an die Titelgläubigerin nach beiden Versäumnisurteilen zu erstattenden Kosten fest.

Mit Schriftsatz vom 6.7.2021 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Titelgläubigerin dem AG mit, die Titelgläubigerin sei nach Maßgabe eines Verschmelzungsvertrages mit Wirkung zum 31.5.2021 als übertragender Rechtsträger mit der EM. GmbH (Antragstellerin) als übernehmendem Rechtsträger verschmolzen worden. Die Gesamtrechtsnachfolge sei in den beiden dem Schriftsatz beigefügten unbeglaubigten Handelsregisterauszügen betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht H. , HRB ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H. , HRB ) dokumentiert und offenkundig i.S.v. § 727 Abs. 2 ZPO. Hierauf gestützt beantragte der Verfahrensbevollmächtigte, der Antragstellerin jeweils eine vollstreckbare Ausfertigung der beiden Versäumnisurteile sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses mit Rechtsnachfolgeklausel zu erteilen.

Das AG - Rechtspflegerin - machte die Titelumschreibung von der Vorlage öffentlich beglaubigter Handelsregisterauszüge abhängig. Nachdem die Antragstellerin solche nicht vorgelegt und an ihrer Auffassung festgehalten hat, die Offenkundigkeit sei auch dann gegeben, wenn die Rechtsnachfolge sich aus dem im Internet allgemein zugänglichen Handelsregister (www.handelsregister.de) ergebe, auf das die Justiz jederzeit und kostenlos Zugriff nehmen könne, wies das AG den Antrag auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel für die drei Vollstreckungstitel zurück. Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat das AG nicht abgeholfen und sie dem LG als Beschwerdegericht vorgelegt. Das LG wies die sofortige Beschwerde zurück. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH die Beschlüsse von AG und LG auf und verwies die Sache an das AG zurück.

Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann der Antrag auf Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen der beiden Versäumnisurteile sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses gem. § 727 Abs. 1 ZPO nicht abgelehnt werden.

Bei einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge durch Verschmelzung ist diese zunächst im Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers und sodann in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers einzutragen (§§ 2, 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 UmwG). Dazu, ob die hiernach erforderlichen Ein-tragungen sich aus dem Handelsregister betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht H. , HRB ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H. , HRB ) ergeben, haben die Vorinstanzen - von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist dies daher zugunsten der Antragstellerin zu unterstellen.

Das LG hat bei der Beurteilung der Frage, ob die Veröffentlichung der Eintragungen im elektronisch geführten Handelsregister im Internetportal www.handelsregister.de die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO zu begründen vermag, unzutreffende Anforderungen an die Voraussetzungen der Allgemeinkundigkeit von Tatsachen gestellt und dadurch die Rechtssätze über die Offenkundigkeit verkannt. Ob der Umstand, dass die Eintragungen im Handelsregister über das Internetportal öffentlich zugänglich sind, es gestattet, eine dort ausgewiesene Rechtsnachfolge für offenkundig i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO zu erachten, ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten. Teilweise wird - mit im Einzelnen unterschiedlicher Begründung - die Annahme von Offenkundigkeit abgelehnt.

Der BGH hat bisher offengelassen, ob Eintragungen in öffentlichen Registern "per se" offenkundig i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO sind. Er geht in seiner Rechtsprechung allerdings grundsätzlich davon aus, dass das Internet eine allgemein zugängliche Quelle ist, so dass zu den offenkundigen Tatsachen i.S.v. § 291 ZPO auch solche gehören können, die das Gericht dem Internet entnehmen kann. Soweit der erkennende Senat die öffentlichen Bekanntmachungen auf der Webseite www.insolvenzbekanntmachungen.de für die Annahme von Offenkundigkeit i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht hat ausreichen lassen, hat er dies mit dem nach den insoweit maßgeblichen Rechtsgrundlagen beschränkten Umfang der vorzunehmenden Veröffentlichungen - im betreffenden Fall: der fehlenden Möglichkeit, eine etwaige spätere Entlassung des einmal bestellten Insolvenzverwalters anhand der Webseite zu ermitteln - begründet. Vergleichbare Beschränkungen bestehen hinsichtlich des Internetportals www.handelsregister.de nicht.

Der Senat entscheidet die Streitfrage daher dahin, dass die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger eine allgemeinkundige Tatsache i.S.v. § 727 Abs. 1 und 2 ZPO ist. Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen - wahrnehmbar sind. Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkunde über sie sicher unterrichten kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 727 Vollstreckbare Ausfertigung für und gegen Rechtsnachfolger
Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 291 Offenkundige Tatsachen
Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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