13.01.2021

Zu den Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Testamentsechtheit

Da eine absolute Gewissheit der Echtheit eines Testaments im naturwissenschaftlichen Sinne fast nie zu erreichen und die theoretische Möglichkeit des Gegenteils der Tatsache, die festgestellt werden soll, kaum auszuschließen ist, genügt für die richterliche Überzeugung nach herrschender Rechtsprechung insoweit ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Eine solche Gewissheit liegt auch in Amtsverfahren vor, wenn diese einen Grad erreicht hat, "der den Zweifeln Einhalt gebietet", ohne sie völlig ausschließen zu können.

OLG Rostock v. 31.8.2020, 3 W 84/19
Der Sachverhalt:
Der Beteiligte zu 2) ist der Ehemann der verstorbenen Erblasserin. Diese war bereits zuvor einmal verheiratet. Die Beteiligte zu 1) stammt aus ihrer ersten Ehe. Sie ist das einzige Kind der Erblasserin.

Der Beteiligte zu 2) hat im August 2016 vor dem Nachlassgericht einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerbe der Erblasserin ausweisen sollte. Er hat in diesem Zusammenhang auf ein durch das AG Neubrandenburg am 7.7.2016 (Az.: 501 VI 359/16) eröffnetes gemeinschaftliches Testament der Eheleute D. verwiesen, mit dem diese sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Die Beteiligte zu 1) hat der Erteilung des beantragten Erbscheins widersprochen. Dies hat sie im Wesentlichen damit begründet, dass die unter dem Testament befindliche Unterschrift nicht von der Erblasserin stamme.

Das AG hat daraufhin ein Sachverständigengutachten zu den Fragen, ob das Testament von der Erblasserin selbst aufgesetzt - wie vom Beteiligten zu 2) behauptet - und unterschrieben sei, eingeholt. Dieses ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Testamentstext mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % bis 99 % und die Testamentsunterschrift mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % bis 95 % von der Erblasserin stammen. Das Nachlassgericht hat die für die Begründung des Antrags auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen unter Verweis auf das Gutachten für festgestellt erachtet. Hinzu komme, dass sich aus vorgelegtem Nachrichtenverkehr ergebe, dass das Verhältnis zwischen Erblasserin und der Beteiligten zu 1) nicht ungetrübt gewesen sei.

Die Beteiligte zu 1) war der Ansicht, das Schriftgutachten sei nicht überzeugend, da es in einer Vielzahl von Schriftproben keine Analogien nachweise, sondern geradezu massive Abweichungen. Ihre Beschwerde vor dem OLG blieb allerdings erfolglos.

Die Gründe:
Der Beteiligte zu 2) hat nachgewiesen, dass er durch gewillkürte Erbfolge zum Alleinerben der Erblasserin berufen worden ist. Aufgrund des Gutachtens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das streitige Testament von der Erblasserin abgefasst sowie sodann von den Eheleuten gemeinsam unterzeichnet worden ist und deshalb ein gemeinschaftliches Testament darstellt (§§ 2247, 2267 BGB).

Da eine absolute Gewissheit der Echtheit eines Testaments im naturwissenschaftlichen Sinne fast nie zu erreichen und die theoretische Möglichkeit des Gegenteils der Tatsache, die festgestellt werden soll, kaum auszuschließen ist, genügt für die richterliche Überzeugung nach herrschender Rechtsprechung insoweit ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Eine solche Gewissheit liegt auch in Amtsverfahren - wie dem Erbscheinsverfahren - vor, wenn diese einen Grad erreicht hat, "der den Zweifeln Einhalt gebietet", ohne sie völlig ausschließen zu können.

Der Senat hat keine Veranlassung die Richtigkeit von Inhalt und Ergebnis des Sachverständigengutachtens in Zweifel zu ziehen. Soweit die Beteiligte zu 1) eingewendet hat, dass die Ausführungen der Sachverständigen zur Variabilität aufgrund vermeintlich massiver Abweichungen zum vorgelegten Vergleichsmaterial nicht nachzuvollziehen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Vielmehr erscheint in diesem Zusammenhang die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen hierzu plausibel und nachvollziehbar, wonach ohnehin jede Schrift, selbst bei wortgleichen Schriftzügen und unter gleichen Bedingungen gefertigt, eine mehr oder weniger große Variabilität aufweist.

Die Sachverständige hat zudem schlüssig dargelegt, dass Ausschlaggebend für ihre Befundbewertung gewesen sei, dass sich die Merkmale des strittigen Testaments vollständig durch das Vergleichsmaterial belegen lassen würden und hat dies, indem sie auf die von der Beteiligten zu 1) angeführten vermeintlichen Abweichungen abgestellt hat, dezidiert unter Hinweis auf die entsprechenden Fundstellen im Vergleichsmaterial untermauert. Soweit sich in den Unterschriften eine etwas größere Variabilität aufgezeigt hat, ist dies von der Sachverständigen entsprechend gewürdigt worden, indem sie insoweit nicht von einer hohen Wahrscheinlichkeit, sondern (nur) von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Unterschriftsleistung durch die Erblasserin ausgegangen ist.
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