17.02.2020

Zulässigkeit einer identifizierenden Bildberichterstattung über die rechtswidrige Untervermietung von Wohnraum

Auch ein nicht mit Strafe bedrohtes rechtswidriges Verhalten einer der Öffentlichkeit nicht bekannten Person kann etwa wegen seiner Art, seines Umfangs und seiner Auswirkungen auf gewichtige Belange der Gesellschaft von so erheblicher Bedeutung für die Öffentlichkeit sein, dass das Recht am eigenen Bild hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurückzutreten hat.

BGH v. 17.12.2019 - VI ZR 504/18
Der Sachverhalt:
Die Kläger machten gegen die Beklagten Ansprüche wegen identifizierender Bildberichterstattungen geltend. Die Kläger betrieben seit Jahren rechtswidrige Geschäfte, indem sie im gewerblichen Umfang Immobilien in München anmieteten und sie dann - ohne Zustimmung oder gegen den ausdrücklichen Willen des Vermieters - an den jeweils anderen Kläger als Geschäftspartner vermieteten, der sie wiederum tage- oder wochenweise zu hohen Mieten an sog. Medizintouristen weitervermietete. Mit diversen verwaltungsgerichtlich bestätigten Bescheiden wurde den Klägern die Untervermietung von Häusern und Wohnungen in München an Medizintouristen untersagt, weil die gewerbliche Geschäftspraxis der Kläger den Tatbestand der verbotenen Zweckentfremdung von Wohnraum erfülle. Die Kläger führten ihre Geschäftspraxis dennoch fort.

Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattungen der Beklagten war die öffentliche Verhandlung am 15. Februar 2017 in einem der zahlreichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München, an denen die Kläger beteiligt waren.

In der fraglichen Ausgabe der BILD München sowie unter der Domain m.bild.de wurde ein ausführlicher Bericht über die rechtswidrigen Praktiken der Kläger veröffentlicht. Alle Berichte waren mit denselben die Kläger identifizierenden Bildnissen versehen.

Das LG hatte die Beklagten zur Unterlassung der Bildnisveröffentlichungen und zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt. Das OLG hat die Berufungen der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die vom Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten waren erfolgreich.

Die Gründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der streitgegenständlichen Bildveröffentlichungen.

Die Zulässigkeit der Bildveröffentlichungen beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren - hier nicht vorliegender - Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Abs. 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt.

Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts handelt es sich vorliegend um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Maßgebend hierbei ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Dabei gehört es zum Kern der Pressefreiheit, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt.

Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.

Das Interesse der Kläger am Schutz ihrer Persönlichkeit hat hier aber hinter dem von den Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückzutreten. Von einem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist auszugehen, weil sich die Berichterstattung mit einem aktuellen Thema von hohem gesellschaftlichen Interesse, nämlich der Wohnungsnot in München, dem Kampf der Stadt München gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum und den damit in Verbindung stehenden illegalen Geschäften der Kläger sowie ihren Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München befasst.

Dieses Interesse wiegt hier entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht deshalb weniger schwer, weil es sich bei dem fortgesetzten rechtswidrigen Verhalten der Kläger nicht um eine Straftat (sondern um eine Ordnungswidrigkeit, vgl. Art. 5 ZwEWG) handelte und es dementsprechend nicht Gegenstand von Strafverfahren, im Zeitpunkt der Berichterstattung auch nicht von Bußgeldverfahren, sondern von verwaltungsgerichtlichen Verfahren war. Denn es handelt sich dabei um ein Fehlverhalten, das wegen seiner Art, seines Umfangs und seiner Auswirkungen auf gewichtige Belange der Gesellschaft von ganz erheblicher Bedeutung für die Öffentlichkeit ist. Das "Geschäftsmodell" der Kläger hat sich nicht nur auf Einzelne, sondern auf die Gemeinschaft schädlich ausgewirkt, weil dringend benötigter Wohnraum dem Mietmarkt entzogen und damit die problematische Lage am Wohnungsmarkt verschärft wurde. Den verständigen Lesern der vorliegenden Artikel ist die Wohnungsnot in Großstädten wie München nicht nur bekannt; nicht wenige von ihnen dürften zudem von ihr oder ihren Auswirkungen (hohe Mieten) selbst betroffen sein.

Die Bedeutung des Fehlverhaltens der Kläger für die Öffentlichkeit lässt sich somit zwar nicht mit dem Bekanntheitsgrad der Kläger begründen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen, wohl aber mit der besonderen Bedeutung ihres Fehlverhaltens für die Öffentlichkeit. Wenn die Kläger derart zu Lasten der Gesellschaft gegen die Rechtsordnung verstoßen, müssen sie dulden, dass das von ihnen selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Sie haben durch ihr rechtswidriges Verhalten den Bereich rein privater Betätigung verlassen und sich selbst zum Gegenstand des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit gemacht.

Demgegenüber wiegt die Beeinträchtigung des Rechts der Kläger auf Schutz ihrer Persönlichkeit weniger schwer. Zwar wird ihr Fehlverhalten in identifizierender Weise öffentlich bekannt gemacht und ihre Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert. Auch dürfte aufgrund der besonderen Bedeutung und des Gewichts ihres Fehlverhaltens für die Öffentlichkeit die allgemeine soziale Missbilligung hoch sein. Andererseits übersieht das Berufungsgericht, dass sich der Umstand, dass es nicht um die Berichterstattung über eine Straftat und ein Strafverfahren, sondern "nur" über ein Verwaltungsverfahren geht, für die Kläger weniger belastend auswirkt. Denn sie werden der Öffentlichkeit nicht als Straftäter vorgeführt. Für die Berichterstattung, die ein verwaltungsgerichtliches Verfahren begleitet und wahrheitsgemäß ein Verhalten schildert, das öffentlich-rechtlich verboten ist, können sich die Kläger ferner nicht auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK berufen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Beiträge nicht das Verhalten der Kläger in ihrer Privat-, sondern in ihrer Sozialsphäre zum Gegenstand haben und der Identifizierungsgrad durch die Bilder zwar hoch, aber aufgrund unvollständiger Namensnennung (Vorname und erster Buchstabe des Nachnamens) dennoch eingeschränkt ist. Die Bildveröffentlichung mag für die Kläger nach alledem eine nicht unerhebliche Belastung darstellen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass sie eine Stigmatisierung, Ausgrenzung oder Prangerwirkung zur Folge gehabt haben könnte.

Bei der gebotenen Würdigung der Veröffentlichungen in ihrer Gesamtheit werden durch die Verbreitung der Fotos keine berechtigten Interessen der Kläger verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Fotoaufnahmen enthalten keine über die Identifizierung hinausgehende Beeinträchtigung; sie haben keinen eigenständigen Verletzungsgehalt. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Umstände, unter denen die Aufnahmen entstanden sind. Ferner ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst ist und wie er dargestellt wird. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des LG wurden die Kläger im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem (öffentlichen) verwaltungsgerichtlichen Verfahren fotografiert, welches Anlass für die Berichterstattung war.
BGH online
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