Zum Risiko des Rechtsmittelführers hinsichtlich einer Versagung der beantragten Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist
BGH v. 1.7.2025 - VI ZB 59/24
Der Sachverhalt:
Der Beklagte legte gegen ein Urteil des LG vom 17.6.2024, ihm zugestellt am 19.6.2024, fristgerecht Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 9.8.2024 beantragte er über seinen Prozessbevollmächtigten erstmals eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 9.9.2024; beim LG sei über dort anhängige Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge der Klägerin noch nicht entschieden, deshalb erscheine die beantragte Fristverlängerung mit dem Ziel der Einbeziehung der etwaig geänderten Fassungen von Urteil und Protokoll in die Berufungsbegründung angezeigt. Zudem befinde sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten als alleiniger Sachbearbeiter nunmehr bis 25.8.2024 in seinem jährlichen Erholungsurlaub, so dass aufgrund der laufenden Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig fertiggestellt werden könne. Das OLG verlängerte die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß.
Mit Schriftsatz vom 9.9.2024 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erneut eine Fristverlängerung bis zum 27.9.2024. Zur Begründung führte er aus, dass über die Berichtigungsanträge noch immer nicht entschieden sei, die etwaigen Berichtigungen aber zur Grundlage der Berufungsbegründung gemacht werden sollten. Für den Fall, dass das Gericht die beantragte Fristverlängerung nicht als sachdienlich erachten sollte, bat er um entsprechenden Hinweis und "letztmalige angemessene Fristverlängerung". Mit Verfügung vom 10.9.2024 lehnte das OLG die zweite Fristverlängerung ab, weil es an einer Einwilligung des Gegners fehle. Mit Schriftsatz vom 18.9.2024 begründete der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufung. Auf den Hinweis des OLG, dass die Berufungsbegründung mangels zweiter Fristverlängerung nicht rechtzeitig erfolgt sei, beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, dass er auf eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls bis 19.9.2024 habe vertrauen dürfen.
Das OLG wies den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung mangels rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig. Im zweiten Fristverlängerungsantrag habe es an der Darlegung eines erheblichen Grundes für die Verlängerung gefehlt. Es habe deshalb weder ein hinreichend begründeter Anlass noch ein schützenswertes Vertrauen der Beklagtenpartei dahingehend bestanden, dass die Frist antragsgemäß oder zumindest hilfsweise bis zur Monatsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) verlängert werden würde. Der angegebene Grund, die Entscheidung des LG über nicht näher dargelegte Anträge auf Tatbestands- und Protokollberichtigung abwarten zu wollen, stelle keinen erheblichen Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dar. Schon der erste Fristverlängerungsantrag sei nur wegen des darin auch geltend gemachten Erholungsurlaubs und der damit einhergehenden Arbeitsüberlastung begründet gewesen. Nachdem der zweite Fristverlängerungsantrag ausschließlich damit begründet worden sei, dass die Entscheidung des LG über die Tatbestands- und Protokollberichtigung immer noch ausstehe, habe die Beklagtenseite auf eine weitere Fristverlängerung nicht vertrauen dürfen. Schließlich belege der Umstand, dass die Berufungsbegründung trotz des Ausstehens der Entscheidung über die Berichtigungsanträge habe gefertigt werden können, dass es auf das Abwarten dieser Entscheidungen nicht angekommen sei. Auch für die hilfsweise beantragte "angemessene" Fristverlängerung habe es an der erforderlichen Begründung zur Notwendigkeit gefehlt.
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die angefochtene Entscheidung verletzt die von der Rechtsbeschwerde angeführten Verfahrensgrundrechte nicht. Das OLG hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 Satz 1 ZPO versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den von der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war.
So liegt es hier. Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten durfte nicht darauf vertrauen, dass ihm auf seinen zweiten Fristverlängerungsantrag hin eine Fristverlängerung jedenfalls bis zur Ausschöpfung der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO (hier also bis zum 19.9.2024) gewährt werden würde, weil es erkennbar an den mangels Einwilligung des Gegners hierfür erforderlichen erheblichen Gründen fehlte. Gem. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag des Berufungsklägers ohne Einwilligung des Gegners - auf eine solche hat sich der Beklagte nicht berufen - um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ist eine dieser Voraussetzungen erfüllt, kann auch einem wiederholten Fristverlängerungsantrag ohne Einwilligung des Gegners stattgegeben werden, solange dadurch die Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überschritten wird.
Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass das Rechtsmittelgericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist (teilweise) versagt. Ohne Verschulden i.S.v. § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das setzt neben der Zulässigkeit die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört - bei Fehlen der Einwilligung des Gegners - auch die Darlegung eines erheblichen Grundes i.S.d. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird.
Nach diesen Maßstäben hätte der vorinstanzliche Beklagtenvertreter bei seinem zweiten Fristverlängerungsantrag mit einer Verlängerung bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, also bis zum 19. September 2024, nur dann rechnen können, wenn er in dem Antrag erhebliche Gründe im Sinne dieser Vorschrift dargelegt hätte. Dies hat er nicht getan. Grundsätzlich können möglicherweise noch erfolgende Berichtigungen eines Urteils nach §§ 319, 320 ZPO oder Protokollberichtigungen keine erheblichen Gründe i.S.v. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist darstellen.
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Der Beklagte legte gegen ein Urteil des LG vom 17.6.2024, ihm zugestellt am 19.6.2024, fristgerecht Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 9.8.2024 beantragte er über seinen Prozessbevollmächtigten erstmals eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 9.9.2024; beim LG sei über dort anhängige Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge der Klägerin noch nicht entschieden, deshalb erscheine die beantragte Fristverlängerung mit dem Ziel der Einbeziehung der etwaig geänderten Fassungen von Urteil und Protokoll in die Berufungsbegründung angezeigt. Zudem befinde sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten als alleiniger Sachbearbeiter nunmehr bis 25.8.2024 in seinem jährlichen Erholungsurlaub, so dass aufgrund der laufenden Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig fertiggestellt werden könne. Das OLG verlängerte die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß.
Mit Schriftsatz vom 9.9.2024 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erneut eine Fristverlängerung bis zum 27.9.2024. Zur Begründung führte er aus, dass über die Berichtigungsanträge noch immer nicht entschieden sei, die etwaigen Berichtigungen aber zur Grundlage der Berufungsbegründung gemacht werden sollten. Für den Fall, dass das Gericht die beantragte Fristverlängerung nicht als sachdienlich erachten sollte, bat er um entsprechenden Hinweis und "letztmalige angemessene Fristverlängerung". Mit Verfügung vom 10.9.2024 lehnte das OLG die zweite Fristverlängerung ab, weil es an einer Einwilligung des Gegners fehle. Mit Schriftsatz vom 18.9.2024 begründete der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufung. Auf den Hinweis des OLG, dass die Berufungsbegründung mangels zweiter Fristverlängerung nicht rechtzeitig erfolgt sei, beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, dass er auf eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls bis 19.9.2024 habe vertrauen dürfen.
Das OLG wies den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung mangels rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig. Im zweiten Fristverlängerungsantrag habe es an der Darlegung eines erheblichen Grundes für die Verlängerung gefehlt. Es habe deshalb weder ein hinreichend begründeter Anlass noch ein schützenswertes Vertrauen der Beklagtenpartei dahingehend bestanden, dass die Frist antragsgemäß oder zumindest hilfsweise bis zur Monatsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) verlängert werden würde. Der angegebene Grund, die Entscheidung des LG über nicht näher dargelegte Anträge auf Tatbestands- und Protokollberichtigung abwarten zu wollen, stelle keinen erheblichen Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dar. Schon der erste Fristverlängerungsantrag sei nur wegen des darin auch geltend gemachten Erholungsurlaubs und der damit einhergehenden Arbeitsüberlastung begründet gewesen. Nachdem der zweite Fristverlängerungsantrag ausschließlich damit begründet worden sei, dass die Entscheidung des LG über die Tatbestands- und Protokollberichtigung immer noch ausstehe, habe die Beklagtenseite auf eine weitere Fristverlängerung nicht vertrauen dürfen. Schließlich belege der Umstand, dass die Berufungsbegründung trotz des Ausstehens der Entscheidung über die Berichtigungsanträge habe gefertigt werden können, dass es auf das Abwarten dieser Entscheidungen nicht angekommen sei. Auch für die hilfsweise beantragte "angemessene" Fristverlängerung habe es an der erforderlichen Begründung zur Notwendigkeit gefehlt.
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die angefochtene Entscheidung verletzt die von der Rechtsbeschwerde angeführten Verfahrensgrundrechte nicht. Das OLG hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 Satz 1 ZPO versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den von der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war.
So liegt es hier. Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten durfte nicht darauf vertrauen, dass ihm auf seinen zweiten Fristverlängerungsantrag hin eine Fristverlängerung jedenfalls bis zur Ausschöpfung der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO (hier also bis zum 19.9.2024) gewährt werden würde, weil es erkennbar an den mangels Einwilligung des Gegners hierfür erforderlichen erheblichen Gründen fehlte. Gem. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag des Berufungsklägers ohne Einwilligung des Gegners - auf eine solche hat sich der Beklagte nicht berufen - um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ist eine dieser Voraussetzungen erfüllt, kann auch einem wiederholten Fristverlängerungsantrag ohne Einwilligung des Gegners stattgegeben werden, solange dadurch die Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überschritten wird.
Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass das Rechtsmittelgericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist (teilweise) versagt. Ohne Verschulden i.S.v. § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das setzt neben der Zulässigkeit die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört - bei Fehlen der Einwilligung des Gegners - auch die Darlegung eines erheblichen Grundes i.S.d. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird.
Nach diesen Maßstäben hätte der vorinstanzliche Beklagtenvertreter bei seinem zweiten Fristverlängerungsantrag mit einer Verlängerung bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, also bis zum 19. September 2024, nur dann rechnen können, wenn er in dem Antrag erhebliche Gründe im Sinne dieser Vorschrift dargelegt hätte. Dies hat er nicht getan. Grundsätzlich können möglicherweise noch erfolgende Berichtigungen eines Urteils nach §§ 319, 320 ZPO oder Protokollberichtigungen keine erheblichen Gründe i.S.v. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist darstellen.
Kommentierung | ZPO
§ 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Kommentierung | ZPO
§ 520 Berufungsbegründung
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
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