Zur Beweiskraft einer Zustellungsurkunde bei Ersatzzustellung
OLG Stuttgart v. 13.5.2025, 6 U 153/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte die Beklagte in einem Mahnverfahren wegen Überziehung des Bankkontos im Rahmen eines Verbraucherdarlehensvertrages in Anspruch genommen. Nach dem Mahnbescheid folgte am 26.6.2024 ein Vollstreckungsbescheid. Nach den Mahnakten soll der Vollstreckungsbescheid der Beklagten am 29.6.2024 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sein.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.10.2024 - eingegangen beim Mahngericht am selben Tag - hat die Beklagte Widerspruch und Einspruch eingelegt und darauf hingewiesen, dass der Beklagten weder der Mahnbescheid noch das Vollstreckungsbescheid zugestellt worden sei (Die Antragsgegnerin war am 1.9.2023 umgezogen. Eine ordentliche Ummeldung beim zuständigen Einwohnermeldeamt ist angeblich fristgerecht erfolgt).
Die Geschäftsstelle des LG hat nach Abgabe dorthin die Klägerin mit Verfügung vom 6.11.2024 zur Begründung des Anspruchs aufgefordert. Die Klägerin hat den Anspruch nicht begründet, sondern am 26.11.2024 beantragt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen. Mit dem angefochtenen Urteil vom 28.11.2024 hat das LG den Einspruch als unzulässig verworfen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das LG hat den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid fehlerhaft als unzulässig verworfen und dabei das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt.
Nachdem der Zustellungsbeauftragte die Beklagte an ihrer alten Wohnanschrift nicht angetroffen hatte (§ 177 ZPO), wäre eine Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO dort nur möglich gewesen, wenn die Beklagte damals dort gewohnt hätte. Um eine Wohnung i.S.d. Vorschriften handelt es sich nur dann, wenn der Empfänger dort für eine gewisse Dauer und zum Zeitpunkt des Zustellversuchs seinen Lebensmittelpunkt hat; das Vorhandensein eines Briefkastens mit Namen begründet regelmäßig keine Wohnung (ganz h.M., BGH, Urt. v. 16.6.2011 - III ZR 342/09 - und Beschl. v. 14.5.2019 - X ZR 94/18).
Infolgedessen durfte das LG nicht davon ausgehen, dass die Beklagte 2024 an ihrer alten Wohnanschrift ihren Lebensmittelpunkt hatte. Sie selbst hatte in erster Instanz vorgetragen, im September 2023 dort weggezogen zu sein und sich ordnungsgemäß umgemeldet zu haben. Die Klägerin hatte in erster Instanz dazu nichts vorgetragen. Irgendwelche tatsächlichen Feststellungen zum Wohnort der Beklagten hatte das LG nicht getroffen. Die Beklagte hatte durch ihre plausible und schlüssige Darstellung ein mögliches Indiz der Zustellung durch die Zustellungsurkunde entkräftet.
Soweit die Klägerin meinte, mit der Postzustellungsurkunde den Beweis der Ersatzzustellung an der Wohnung der Beklagten erbringen zu können, jene müsse den Gegenbeweis führen, war das rechtlich unzutreffend. Inhalt und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör lassen es nicht zu, die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde auch darauf zu erstrecken, dass der Zustellungsempfänger tatsächlich unter der Zustellungsanschrift gewohnt hat (ganz h.M., BVerfG, Beschl. v. 20.2.1992 - 2 BvR 884/91). Die Zustellperson trifft nämlich keine Feststellungen zur Wohnsituation und beurkundet solche daher auch nicht.
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Die Klägerin hatte die Beklagte in einem Mahnverfahren wegen Überziehung des Bankkontos im Rahmen eines Verbraucherdarlehensvertrages in Anspruch genommen. Nach dem Mahnbescheid folgte am 26.6.2024 ein Vollstreckungsbescheid. Nach den Mahnakten soll der Vollstreckungsbescheid der Beklagten am 29.6.2024 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sein.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.10.2024 - eingegangen beim Mahngericht am selben Tag - hat die Beklagte Widerspruch und Einspruch eingelegt und darauf hingewiesen, dass der Beklagten weder der Mahnbescheid noch das Vollstreckungsbescheid zugestellt worden sei (Die Antragsgegnerin war am 1.9.2023 umgezogen. Eine ordentliche Ummeldung beim zuständigen Einwohnermeldeamt ist angeblich fristgerecht erfolgt).
Die Geschäftsstelle des LG hat nach Abgabe dorthin die Klägerin mit Verfügung vom 6.11.2024 zur Begründung des Anspruchs aufgefordert. Die Klägerin hat den Anspruch nicht begründet, sondern am 26.11.2024 beantragt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen. Mit dem angefochtenen Urteil vom 28.11.2024 hat das LG den Einspruch als unzulässig verworfen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das LG hat den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid fehlerhaft als unzulässig verworfen und dabei das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt.
Nachdem der Zustellungsbeauftragte die Beklagte an ihrer alten Wohnanschrift nicht angetroffen hatte (§ 177 ZPO), wäre eine Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO dort nur möglich gewesen, wenn die Beklagte damals dort gewohnt hätte. Um eine Wohnung i.S.d. Vorschriften handelt es sich nur dann, wenn der Empfänger dort für eine gewisse Dauer und zum Zeitpunkt des Zustellversuchs seinen Lebensmittelpunkt hat; das Vorhandensein eines Briefkastens mit Namen begründet regelmäßig keine Wohnung (ganz h.M., BGH, Urt. v. 16.6.2011 - III ZR 342/09 - und Beschl. v. 14.5.2019 - X ZR 94/18).
Infolgedessen durfte das LG nicht davon ausgehen, dass die Beklagte 2024 an ihrer alten Wohnanschrift ihren Lebensmittelpunkt hatte. Sie selbst hatte in erster Instanz vorgetragen, im September 2023 dort weggezogen zu sein und sich ordnungsgemäß umgemeldet zu haben. Die Klägerin hatte in erster Instanz dazu nichts vorgetragen. Irgendwelche tatsächlichen Feststellungen zum Wohnort der Beklagten hatte das LG nicht getroffen. Die Beklagte hatte durch ihre plausible und schlüssige Darstellung ein mögliches Indiz der Zustellung durch die Zustellungsurkunde entkräftet.
Soweit die Klägerin meinte, mit der Postzustellungsurkunde den Beweis der Ersatzzustellung an der Wohnung der Beklagten erbringen zu können, jene müsse den Gegenbeweis führen, war das rechtlich unzutreffend. Inhalt und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör lassen es nicht zu, die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde auch darauf zu erstrecken, dass der Zustellungsempfänger tatsächlich unter der Zustellungsanschrift gewohnt hat (ganz h.M., BVerfG, Beschl. v. 20.2.1992 - 2 BvR 884/91). Die Zustellperson trifft nämlich keine Feststellungen zur Wohnsituation und beurkundet solche daher auch nicht.
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