08.12.2025

Zur Frage einer Vorteilsausgleichung wegen Abzugs neu für alt aufgrund der Beseitigung eines Mangels

Eine Vorteilsausgleichung wegen eines Abzugs neu für alt aufgrund der Beseitigung eines Mangels kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Mangel sich relativ spät auswirkt und der Besteller keine Gebrauchsnachteile hinnehmen musste.

BGH v. 27.11.2025 - VII ZR 112/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über vom Kläger geltend gemachte Mängelrechte aus einer von ihm behaupteten mangelhaften Herstellung eines Fahrsilos. Unter dem 10.8.2009 beauftragte der Kläger die Beklagte mit der Herstellung eines Fahrsilos. Die Fertigstellung des Fahrsilos und die vollständige Zahlung des Werklohns erfolgten im September 2010. In der Folgezeit machte der Kläger zahlreiche Mängel an dem Fahrsilo geltend, insbesondere großflächige Rissbildungen und Unebenheiten der Betonoberfläche.

Im Februar 2013 leitete der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren ein, das im Juni 2015 beendet war. Mit der im Juli 2015 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Zahlung eines Kostenvorschusses i.H.v. 120.000 € nebst Zinsen, die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle etwaigen weiteren Kosten zu erstatten, und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung ihm im Zusammenhang mit der Feststellung von Mängeln entstandener Sachverständigenkosten i.H.v. rd. 5.200 € nebst Zinsen. Mit der Klageschrift, die der Beklagten am 23.7.2015 zugestellt wurde, setzte der Kläger der Beklagten eine Frist zur Mängelbeseitigung bis zum 31.8.2015.

Das LG gab der Klage, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil des LG teilweise ab. Es verurteilte die Beklagte zu einem Kostenvorschuss i.H.v. 80.000 € nebst Zinsen und sprach die Feststellung aus, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zwei Drittel aller etwaigen weiteren Kosten zu erstatten. Die Verurteilung zur Zahlung der Sachverständigenkosten i.H.v. 5.200 € nebst Zinsen erhielt das OLG aufrecht. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte schloss sich der Revision des Klägers an und verfolgte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.

Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG zurück. Die Anschlussrevision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG geht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass die mit der Klage verfolgten Ansprüche grundsätzlich vollumfänglich - vorbehaltlich eines Vorteilsausgleichs zu Lasten des Klägers - berechtigt sind. Dagegen ist die Annahme des OLG, der Vorschussanspruch sei im Umfang von einem Drittel aufgrund einer Vorteilsausgleichung wegen eines Abzugs neu für alt zu kürzen, von Rechtsfehlern beeinflusst.

Nach den auf Treu und Glauben gem. § 242 BGB beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Hat also das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis neben Nachteilen auch Vorteile gebracht, sind nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung diejenigen Vorteile auszugleichen, die dem Geschädigten in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind und deren Ausgleichung mit dem Zweck des jeweiligen Ersatzanspruchs übereinstimmt. Die Anrechnung von Vorteilen muss für den Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unangemessen entlasten. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein. Diese zum Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze finden nach der Rechtsprechung des BGH entsprechende Anwendung im Rahmen des Mängelrechts, dessen Wertungen und Zwecke für die Beantwortung der Frage heranzuziehen sind, ob und inwieweit ein Vorteilsausgleich in Betracht kommt.

Auf dieser Grundlage hat der BGH einen Vorteilsausgleich in den Fällen abgelehnt, in denen der erlangte Vorteil - etwa in Form einer längeren Lebensdauer des Werks oder ersparter Unterhaltungsaufwendungen - ausschließlich auf einer Verzögerung der Mangelbeseitigung beruht. Der Unternehmer soll durch sein vertragswidriges Handeln im Rahmen sowohl seiner Herstellungs- als auch seiner Nacherfüllungspflicht keine Besserstellung erfahren. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Zweck der Mängelrechte. Offen gelassen hat der BGH die Frage, ob Vorteile aufgrund einer Mangelbeseitigung (neu für alt) generell keinem Vorteilsausgleich unterliegen. Ein Vorteilsausgleich komme aber - wenn überhaupt - nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich einerseits der Mangel relativ spät auswirke und andererseits der Besteller keine Gebrauchsnachteile habe hinnehmen müssen. Diese Entscheidungen sind sämtlich zu dem Recht ergangen, das für Verträge gilt, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

Für das seit dem 1.1.2002 für Verträge, die nach dem 31.12.2001 geschlossen wurden, geltende Recht entscheidet der Senat nunmehr, dass eine Vorteilsausgleichung wegen eines Abzugs neu für alt aufgrund der Beseitigung eines Mangels auch dann nicht in Betracht kommt, wenn der Mangel sich relativ spät auswirkt und der Besteller keine Gebrauchsnachteile hinnehmen musste. Einem solchen Vorteilsausgleich stehen die Regelungen des werkvertraglichen Mängelrechts entgegen. Die Nacherfüllung und die damit verbundenen Kosten bilden bei wertender Betrachtung keine Rechnungseinheit mit Vorteilen, die sich aus einer Mangelbeseitigung erst nach längerer Zeit ergeben. Das ist mit der Rechtsnatur des Nacherfüllungsanspruchs nicht zu vereinbaren.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 634 Rechte des Bestellers bei Mängeln
Schwenker/Rodemann in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Kommentierung | BGB
§ 635 Nacherfüllung
Schwenker/Rodemann in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023 

Kommentierung | BGB
§ 637 Selbstvornahme
Schwenker/Rodemann in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Beratermodul Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt. Zusätzlich mit der GVRZ - Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht! 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online