Zur Kenntniserlangung der Bediensteten der verfügungsberechtigten Behörde hinsichtlich des Beginns der Verjährung von Regressansprüchen
BGH v. 8.7.2025 - VI ZR 303/23
Der Sachverhalt:
Der klagende Freistaat Bayern nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht seines Beamten L auf Schadensersatz in Anspruch. Der im Dienst des Klägers stehende Polizeibeamte L erlitt am 9.10.2011 bei einem privaten Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Mit Schreiben vom 13.10.2017 forderte der Kläger die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs zur Erstattung von im Rahmen der Beihilfe übernommener Heilbehandlungskosten, von Kosten der Wiedereingliederung sowie wegen begrenzter Dienstfähigkeit geleisteter Zahlungen auf. Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung.
Das LG gab der im Jahr 2018 erhobenen Klage statt; das OLG wies sie wegen Verjährung ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz der von ihm an L geleisteten Zahlungen nicht verneint werden. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, die in unverjährter Zeit bestehende Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Umständen beruhe auf grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB.
Bei Behörden und öffentlichen Körperschaften beginnt die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst dann zu laufen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist.
Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig - nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bzgl. der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unerheblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Obliegenheiten der Regressabteilung eines Leistungsträgers ergeben sich aus deren Aufgabe. Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der - hier nach Art. 14 BayBG - übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Dienstherr seinem geschädigten Beamten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise sicherzustellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen können.
Die Verletzung dieser Obliegenheiten kann im Einzelfall als grob fahrlässig zu bewerten sein. So kann es sich verhalten, wenn ein Mitarbeiter der Regressabteilung aus ihm zugeleiteten Unterlagen in einer anderen Angelegenheit ohne Weiteres hätte erkennen können, dass die Möglichkeit eines Regresses in einem weiteren Schadensfall in Betracht kommt, und er die Frage des Rückgriffes auf sich beruhen lässt, ohne die gebotene Klärung der für den Rückgriff erforderlichen Umstände zu veranlassen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die (bloße) nachlässige Handhabung der vorbeschriebenen Obliegenheiten zur Begründung grober Fahrlässigkeit nicht genügt. Wie ausgeführt erfordert die Annahme grober Fahrlässigkeit die Feststellung eines schweren Obliegenheitsverstoßes; der Gläubiger muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt haben. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Annahme grober Fahrlässigkeit seitens der Mitarbeiter der Regressabteilung des Klägers als rechtsfehlerhaft.
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Aufsatz
Stand und Entwicklung des Schadensrechts
Christian Heinze, VersR 2025, 1097
VERSR0082672
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Der klagende Freistaat Bayern nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht seines Beamten L auf Schadensersatz in Anspruch. Der im Dienst des Klägers stehende Polizeibeamte L erlitt am 9.10.2011 bei einem privaten Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Mit Schreiben vom 13.10.2017 forderte der Kläger die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs zur Erstattung von im Rahmen der Beihilfe übernommener Heilbehandlungskosten, von Kosten der Wiedereingliederung sowie wegen begrenzter Dienstfähigkeit geleisteter Zahlungen auf. Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung.
Das LG gab der im Jahr 2018 erhobenen Klage statt; das OLG wies sie wegen Verjährung ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz der von ihm an L geleisteten Zahlungen nicht verneint werden. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, die in unverjährter Zeit bestehende Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Umständen beruhe auf grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB.
Bei Behörden und öffentlichen Körperschaften beginnt die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst dann zu laufen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist.
Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig - nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bzgl. der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unerheblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Obliegenheiten der Regressabteilung eines Leistungsträgers ergeben sich aus deren Aufgabe. Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der - hier nach Art. 14 BayBG - übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Dienstherr seinem geschädigten Beamten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise sicherzustellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen können.
Die Verletzung dieser Obliegenheiten kann im Einzelfall als grob fahrlässig zu bewerten sein. So kann es sich verhalten, wenn ein Mitarbeiter der Regressabteilung aus ihm zugeleiteten Unterlagen in einer anderen Angelegenheit ohne Weiteres hätte erkennen können, dass die Möglichkeit eines Regresses in einem weiteren Schadensfall in Betracht kommt, und er die Frage des Rückgriffes auf sich beruhen lässt, ohne die gebotene Klärung der für den Rückgriff erforderlichen Umstände zu veranlassen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die (bloße) nachlässige Handhabung der vorbeschriebenen Obliegenheiten zur Begründung grober Fahrlässigkeit nicht genügt. Wie ausgeführt erfordert die Annahme grober Fahrlässigkeit die Feststellung eines schweren Obliegenheitsverstoßes; der Gläubiger muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt haben. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Annahme grober Fahrlässigkeit seitens der Mitarbeiter der Regressabteilung des Klägers als rechtsfehlerhaft.
Aufsatz
Stand und Entwicklung des Schadensrechts
Christian Heinze, VersR 2025, 1097
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