28.05.2025

Zur telefonischen Bestellung eines Ergänzungspflegers während Corona und dessen Vergütung nach dem RVG bei juristisch anspruchsvollen Tätigkeiten

Unter den Bedingungen der beginnenden Corona-Pandemie lag ein besonderer Ausnahmefall vor, in dem die Bestellung eines Ergänzungspflegers telefonisch erfolgen konnte (Fortführung von Senatsbeschlüssen vom 15.1.2020 - XII ZB 627/17 - FamRZ 2020, 601 und vom 13.12.2017 - XII ZB 436/17 - FamRZ 2018, 513). Ein Ergänzungspfleger kann eine Vergütung nach dem RVG beanspruchen, soweit er aufgrund seiner Bestellung Tätigkeiten zu erbringen hat, für die ein juristischer Laie als Ergänzungspfleger berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte (im Anschluss an u.a. Senatsbeschlüsse vom 8.1.2025 - XII ZB 477/22 - MDR 2025, 415; vom 14.8.2024 - XII ZB 478/22 - FamRZ 2024, 1897).

BGH v. 16.4.2025 - XII ZB 227/24
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Festsetzung der Vergütung einer anwaltlichen Ergänzungspflegerin (Beteiligte zu 2) gegen den Vater (Beteiligter zu 1) der von ihr bei einem Grundstücksgeschäft vertretenen Kinder (Betroffene).

Am 14.5.2019 ließen die Großeltern der Betroffenen einen Schenkungs- und Übergabevertrag zur Übertragung von Grundeigentum auf die Betroffenen beurkunden. Auf Seiten der Betroffenen traten dabei deren Eltern auf. Für die ausstehende Genehmigung des Vertragsschlusses bestellte das AG die Beteiligte zu 2) mit dem Wirkungskreis "Grundstücksgeschäft betreffend das Grundbuch von O." als Ergänzungspflegerin für die Betroffenen und stellte fest, dass diese das Amt berufsmäßig ausübe. Die Verpflichtung der Beteiligten zu 2) erfolgte fernmündlich am 3.4.2020. Nachdem die Beteiligte zu 2) den Vertrag geprüft, "einige Punkte" mit dem beurkundenden Notar erörtert und eine Bestätigung von dem Notar eingeholt hatte, dass den Betroffenen durch den Übergabevertrag keine Kosten entstünden, weil diese vom Vater der Kinder getragen würden, erklärte sie gegenüber dem AG, dass gegen die Erteilung einer familiengerichtlichen Genehmigung keine Bedenken bestünden, und genehmigte den Vertrag.

Im Juni 2020 beantragte die Beteiligte zu 2), ihre Vergütung nach dem RVG unter Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Wert von 260.000 € auf insgesamt rd. 3.500 € (brutto) festzusetzen. Das AG entsprach diesem Antrag. Die dagegen vom Beteiligten zu 1) "betreffend die Höhe" eingelegte Beschwerde wies das OLG zurück. Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das OLG noch angenommen, dass die Beteiligte zu 2) wirksam als Ergänzungspflegerin der Betroffenen bestellt wurde.

Die Wirksamkeit der Bestellung der Beteiligten zu 2) als Ergänzungspflegerin richtet sich nach §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1789 BGB in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung. Danach war ein Ergänzungspfleger von dem Familiengericht durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Ergänzungspflegschaft zu bestellen, mittels Handschlags an Eides statt. Die wirksame Bestellung eines Ergänzungspflegers setzte damit, anders als nach dem seit 1.1.2023 geltenden Recht (§ 168 f Satz 1 i.V.m. § 168 a Abs. 2 Satz 1 FamFG), eine persönliche Verpflichtung durch das Gericht in Anwesenheit des Bestellten voraus. Von einer persönlichen Verpflichtung des Ergänzungspflegers durch Handschlag konnte nach der Sollvorschrift des § 1789 Satz 2 BGB a.F. nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen werden. Unter den Bedingungen der beginnenden Corona-Pandemie und der damit verbundenen besonderen Gefahrenlage lag ein solcher Ausnahmefall vor. Dem Zweck, dem Ergänzungspfleger die Bedeutung seiner Aufgabe in der gebotenen Deutlichkeit vor Augen zu führen, konnte dabei im Rahmen einer telefonischen Bestellung ausreichend Rechnung getragen werden.

Das OLG hat seiner Entscheidung weiter zutreffend zugrunde gelegt, dass der Vergütungsanspruch der Beteiligten zu 2) für ihre Tätigkeit als Ergänzungspflegerin gegen den Beteiligten zu 1) festgesetzt werden konnte. Die Vergütung des Ergänzungspflegers kann in Fällen wie dem vorliegenden in entsprechender Anwendung der § 24 Nr. 2 FamGKG, § 29 Nr. 2 GKG und § 27 Nr. 2 GNotKG auch gegen denjenigen festgesetzt werden, der sich zur Übernahme dieser Kosten vertraglich verpflichtet hat. Bei einer vertraglichen Kostenübernahmeverpflichtung der Kindeseltern oder eines Elternteils für die von dem minderjährigen Kind zu tragenden Kosten eines Vertragsschlusses einschließlich der Vergütung des Ergänzungspflegers ist davon auszugehen, dass der Übernahmeverpflichtung Außenwirkung zukommen und sie eine Festsetzung gegen den Übernahmeschuldner ermöglichen soll.

Die Annahme des OLG, die Beteiligte zu 2) könne eine Vergütung nach dem RVG beanspruchen, hält demgegenüber rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil es an den erforderlichen Feststellungen fehlt. Gem. §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1835 Abs. 1 bis 3 BGB a.F. kann der Ergänzungspfleger Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Daneben hat er Anspruch auf eine Vergütung in entsprechender Anwendung der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 und 2 VBVG a.F., wenn die Ergänzungspflegschaft ausnahmsweise berufsmäßig geführt wird. Dabei gelten auch solche Dienste als Aufwendungen des Ergänzungspflegers, die zu seinem Gewerbe oder seinem Beruf gehören. Für seine Tätigkeit kann er statt einer Vergütung nach Stundensätzen entsprechend § 3 Abs. 1 und 2 VBVG wahlweise als Aufwendungsersatz eine Vergütung nach dem RVG beanspruchen, soweit er im Rahmen seiner Bestellung für den Betroffenen Dienste erbringt, für die ein juristischer Laie als Ergänzungspfleger berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte.

Hat das Familiengericht - wie hier - nicht bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Ergänzungspflegers ausgesprochen, dass dieser eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübt, hat das Gericht im Vergütungsfestsetzungsverfahren festzustellen, ob die Tätigkeit des Ergänzungspflegers die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gerechtfertigt hätte. Die Frage, unter welchen Umständen ein Ergänzungspfleger im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Vergütung nach dem RVG zu bewilligen ist, obliegt dabei einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat. Einen solchen Rechtsfehler weist die angefochtene Entscheidung auf, weil es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, welche konkreten Tätigkeiten von der Beteiligten zu 2) aufgrund ihrer Bestellung zu erbringen waren. Diese Feststellungen wird das OLG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

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Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
Vergütung eines anwaltlichen Verfahrenspflegers nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
BGH vom 08.01.2025 - XII ZB 477/22
MDR 2025, 415
MDR0076621

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Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
§§ 1821 I BGB a. F., 1850 I BGB, Nr. 1000 VV RVG: Vergütung des anwaltlichen Verfahrenspflegers für genehmigungsbedürftige Grundstücksgeschäfte
BGH vom 14.08.2024 - XII ZB 478/22
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Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
§§ 1915, 1836, 1789 S. 1 BGB, 3 VBVG: Vergütung des Berufspflegers
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