18.01.2023

Zur Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit i.S.v. § 130d Satz 2 und 3 ZPO

Der BGH hat sich vorliegend erneut mit der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit i.S.v. § 130d Satz 2 und 3 ZPO befasst. Es besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur "behutsam" anzuwenden.

BGH v. 15.12.2022 - III ZB 18/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Wohn- und Betreuungsvertrag auf Zahlung rückständigen Heimentgelts in Anspruch. Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von rd. 6.900 € nebst Zinsen. Gegen das der Beklagten am 20.11.2021 zugestellte Urteil legte diese am 19.12.2021 durch Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten des OLG form- und fristgerecht Berufung ein. Die Berufungsbegründung reichte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 20.1.2022 ebenfalls durch Einwurf in den Briefkasten des OLG ein.

Der Klägerin wurde sodann mit Vorsitzendenverfügung vom 9.2.2022 eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt. Nachdem die Klägerin unter dem 10.2.2022 um Mitteilung gebeten hatte, ob die Berufungsbegründung gem. § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht worden sei, ist die Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 11.2.2022 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen darauf hingewiesen worden, bei Setzung der Berufungserwiderungsfrist sei nicht aufgefallen, dass die Berufungsbegründung entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (i.S.d. § 130d Satz 2 und 3 ZPO) sei weder in der Berufungsbegründung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage sei die Berufung möglicherweise nicht formgerecht entsprechend § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verischerte daraufhin mit Schriftsatz vom 24.2.2022 eidesstattlich, dass am 20.1.2022 nach dem Aufspielen eines Updates die "beA Client Security" nicht mehr habe gestartet werden können. Diese habe erneut aufgespielt werden müssen, um die Störung des beA zu beseitigen. Die Berufungsbegründung sei daher zur Fristwahrung als Brief in den Nachtbriefkasten des OLG eingelegt worden.

Das OLG verwarf die Berufung der Beklagten daraufhin als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH einen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat den Zugang der Beklagten zur Berufungsinstanz nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Die Auslegung und Anwendung von § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Insbesondere hat das OLG den Rechtsbegriff "unverzüglich" zutreffend i.S.d. in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Legaldefinition als "ohne schuldhaftes Zögern" ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war das OLG nicht gehalten, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach ihrem Inkrafttreten während einer (weiteren) Übergangsfrist nicht oder nur "behutsam" anzuwenden.

Die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, ist durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 eingeführt worden und gem. Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum 1.1.2022 in Kraft getreten. § 130d Satz 1 ZPO sieht u.a. eine Pflicht für alle Rechtsanwälte vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Die Einreichung in dieser Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments - wie hier - aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich, darf der Nutzungspflichtige gem. § 130d Satz 2 ZPO das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt in Papierform oder als Telefax, übermitteln. Um Missbrauch auszuschließen, bestimmt § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO allerdings, dass der Nutzungsberechtigte die vorübergehende technische Unmöglichkeit unaufgefordert schon bei der Ersatzeinreichung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) danach glaubhaft zu machen hat, wobei die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll.

Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als Rechtsanwalt beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1.1.2022 bekannt sein. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre schuldhaft und müsste von der Beklagten im Wege der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO hingenommen werden. Und er rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur "behutsam" anzuwenden. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Vorschrift gerade im Hinblick auf die zum 1.1.2022 eingetretene Rechtsänderung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen.

Im Hinblick auf das Merkmal "unverzüglich" hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für den sichersten Weg entscheiden müssen. Dieser hätte darin bestanden, die Art der technischen Störung bereits bei der Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen. Dazu wäre er auch in der Lage gewesen, weil ihm die Probleme mit der Client Security des beA von Anfang an bekannt waren. Die mit Schriftsatz vom 24.2.2022 - fünf Wochen nach der Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung und lediglich als Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis - erfolgte Glaubhaftmachung war nicht mehr "unverzüglich", zumal nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen und ein wochenlanges Zuwarten regelmäßig als zu lang anzusehen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Ein Jahr beA-Pflicht
Klaus Bacher, MDR 2022, 1441

Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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