Zusätzliche Gebühr durch Verfahren bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler
AG Leverkusen v. 23.7.2025 - 25 C 11/25
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte den Beklagten im Jahr 2021 in einem Arzthaftungsprozess als Rechtsanwältin vertreten. Es ging um Komplikationen des Beklagten nach einer Knieoperation. Im November 2022 wurde ein Privatgutachter eingeschaltet. Im Juni 2023 rief die Klägerin in Abstimmung mit dem Beklagten die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler an, um eine weitere Begutachtung zu erhalten und auf diese Art und Weise eine außergerichtliche Schlichtung herbeizuführen. Die Haftpflichtversicherung der Anspruchsgegner teilte mit, sich an dem freiwilligen Verfahren vor der Gutachterkommission nicht beteiligen zu wollen. Daraufhin meldete die Klägerin gegenüber der Gutachterkommission, dass der Beklagte die Fortführung des Gutachterkommissionsverfahrens einseitig ohne Beteiligung der Gegenseite wünsche.
Alle Begutachtungen verliefen negativ. Der Beklagte akzeptierte das Urteil der Gutachterkommission und Schlichtungsstelle. Die Klägerin stellte ihre Arbeit nach über drei Jahren ein. Ihre Kostenrechnung i.H.v. insgesamt 7.175 € wies u.a. eine Gebühr nach 2303 Abs. 1 VV RVG aus, die durch die Rechtsschutzversicherung des Beklagten nicht bezahlt wurde. Die Klägerin berechnete eine 2,5-fache Geschäftsgebühr 2300 VV RVG nach dem Streitwert von 126.750 €. Die Rechtsschutzversicherung des Beklagten zahlte insgesamt 5356 € und berücksichtigte eine Selbstbeteiligung des Beklagten i.H.v. 150 €.
Die Klägerin war der Ansicht, dass das Verfahren bei der Gutachterkommission eine Gebühr nach 2303 Abs. 1 VV RVG auslöse. Bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen handele es sich um Schiedsstellen, die sehr große Akzeptanz gewährleisten, weshalb die anwaltliche Unterstützung dort auch kostenpflichtig sei. Der Beklagte meinte, die Tätigkeit der Klägerin sei durch die 2,5 Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG abgegolten. Bei dem Verfahren vor der ärztlichen Schlichtungsstelle handele es sich weder um eine eigenständige Angelegenheit noch um ein gesetzlich vorgesehenes Schlichtungsverfahren, was aber die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der 2303 VV RVG wäre.
Die Klägerin machte einen noch offenen Betrag von 1668 € gegenüber dem Beklagten geltend. Das AG gab der Klage vollumfänglich statt.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch aus §§ 611, 675 BGB.
Neben der (abgegoltenen) Geschäftsgebühr 2300 VV RVG fiel auch die weitere Geschäftsgebühr 2303 Nr. 1 VV RVG an. Diese entsteht für Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen, vor einer Gütestelle, die Streitbeilegung betreibt (§ 15a Abs. 3 EGZPO). Zwar handelt es sich bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler nicht um eine von der Landesjustizverwaltung eingerichtete oder anerkannte Gütestelle i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Es handelt sich jedoch um eine Gütestelle, die Streitbeilegung betreibt i.S.d. § 15a Abs. 3 EGZPO (s. BT-Drucksache 14/980, S. 7, 8; i.d.S. BGH, Urt. v. 17.1.2017 - VI ZR 239/15).
Der Einigungsversuch war einvernehmlich unternommen worden. Dagegen sprach nicht, dass die Anspruchsgegner mitgeteilt hatten, sich nicht an dem freiwilligen Verfahren vor der Gutachterkommission beteiligen zu wollen. Nach § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO wird das Einvernehmen nach S. 1 unwiderleglich vermutet, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestelle, eine Gütestelle der Industrie- und Handelskammer, einer Handwerkskammer oder der Innung angerufen hat. Dies gilt auch im Rahmen von 2303 Nr. 1 VV RVG. Zu den branchengebundenen Gütestellen i.S.d. Vorschrift gehören auch die Gutachter- und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern. Der Beklagte war als Patient Verbraucher i.S.d. § 13 BGB.
Das Güte- und Schlichtungsverfahren stellte gegenüber der (übrigen) außergerichtlichen Vertretung eine eigene Angelegenheit dar. Die Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG spricht dafür, dass verschiedene Angelegenheiten vorlagen. Immer dann, wenn das Gesetz eine Anrechnung von Gebühren vorsieht, geht es von verschiedenen Angelegenheiten aus. Eine Anrechnung innerhalb einer Angelegenheit ist dem Gebührensystem RVG fremd. Auch § 15 Abs. 2 RVG spricht für eine gesonderte Angelegenheit. In derselben Angelegenheit kann der Anwalt jede Gebühr grundsätzlich nur einmal verdienen. Da aber zwei Geschäftsgebühren vorgesehen sind, spricht dies im Umkehrschluss dafür, dass es sich auch um jeweils eigene Angelegenheiten handelt. Für dieses Verständnis spricht auch die Vorschrift des § 15 Abs. 1 RVG.
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Justiz NRW
Die Klägerin hatte den Beklagten im Jahr 2021 in einem Arzthaftungsprozess als Rechtsanwältin vertreten. Es ging um Komplikationen des Beklagten nach einer Knieoperation. Im November 2022 wurde ein Privatgutachter eingeschaltet. Im Juni 2023 rief die Klägerin in Abstimmung mit dem Beklagten die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler an, um eine weitere Begutachtung zu erhalten und auf diese Art und Weise eine außergerichtliche Schlichtung herbeizuführen. Die Haftpflichtversicherung der Anspruchsgegner teilte mit, sich an dem freiwilligen Verfahren vor der Gutachterkommission nicht beteiligen zu wollen. Daraufhin meldete die Klägerin gegenüber der Gutachterkommission, dass der Beklagte die Fortführung des Gutachterkommissionsverfahrens einseitig ohne Beteiligung der Gegenseite wünsche.
Alle Begutachtungen verliefen negativ. Der Beklagte akzeptierte das Urteil der Gutachterkommission und Schlichtungsstelle. Die Klägerin stellte ihre Arbeit nach über drei Jahren ein. Ihre Kostenrechnung i.H.v. insgesamt 7.175 € wies u.a. eine Gebühr nach 2303 Abs. 1 VV RVG aus, die durch die Rechtsschutzversicherung des Beklagten nicht bezahlt wurde. Die Klägerin berechnete eine 2,5-fache Geschäftsgebühr 2300 VV RVG nach dem Streitwert von 126.750 €. Die Rechtsschutzversicherung des Beklagten zahlte insgesamt 5356 € und berücksichtigte eine Selbstbeteiligung des Beklagten i.H.v. 150 €.
Die Klägerin war der Ansicht, dass das Verfahren bei der Gutachterkommission eine Gebühr nach 2303 Abs. 1 VV RVG auslöse. Bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen handele es sich um Schiedsstellen, die sehr große Akzeptanz gewährleisten, weshalb die anwaltliche Unterstützung dort auch kostenpflichtig sei. Der Beklagte meinte, die Tätigkeit der Klägerin sei durch die 2,5 Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG abgegolten. Bei dem Verfahren vor der ärztlichen Schlichtungsstelle handele es sich weder um eine eigenständige Angelegenheit noch um ein gesetzlich vorgesehenes Schlichtungsverfahren, was aber die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der 2303 VV RVG wäre.
Die Klägerin machte einen noch offenen Betrag von 1668 € gegenüber dem Beklagten geltend. Das AG gab der Klage vollumfänglich statt.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch aus §§ 611, 675 BGB.
Neben der (abgegoltenen) Geschäftsgebühr 2300 VV RVG fiel auch die weitere Geschäftsgebühr 2303 Nr. 1 VV RVG an. Diese entsteht für Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen, vor einer Gütestelle, die Streitbeilegung betreibt (§ 15a Abs. 3 EGZPO). Zwar handelt es sich bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler nicht um eine von der Landesjustizverwaltung eingerichtete oder anerkannte Gütestelle i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Es handelt sich jedoch um eine Gütestelle, die Streitbeilegung betreibt i.S.d. § 15a Abs. 3 EGZPO (s. BT-Drucksache 14/980, S. 7, 8; i.d.S. BGH, Urt. v. 17.1.2017 - VI ZR 239/15).
Der Einigungsversuch war einvernehmlich unternommen worden. Dagegen sprach nicht, dass die Anspruchsgegner mitgeteilt hatten, sich nicht an dem freiwilligen Verfahren vor der Gutachterkommission beteiligen zu wollen. Nach § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO wird das Einvernehmen nach S. 1 unwiderleglich vermutet, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestelle, eine Gütestelle der Industrie- und Handelskammer, einer Handwerkskammer oder der Innung angerufen hat. Dies gilt auch im Rahmen von 2303 Nr. 1 VV RVG. Zu den branchengebundenen Gütestellen i.S.d. Vorschrift gehören auch die Gutachter- und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern. Der Beklagte war als Patient Verbraucher i.S.d. § 13 BGB.
Das Güte- und Schlichtungsverfahren stellte gegenüber der (übrigen) außergerichtlichen Vertretung eine eigene Angelegenheit dar. Die Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG spricht dafür, dass verschiedene Angelegenheiten vorlagen. Immer dann, wenn das Gesetz eine Anrechnung von Gebühren vorsieht, geht es von verschiedenen Angelegenheiten aus. Eine Anrechnung innerhalb einer Angelegenheit ist dem Gebührensystem RVG fremd. Auch § 15 Abs. 2 RVG spricht für eine gesonderte Angelegenheit. In derselben Angelegenheit kann der Anwalt jede Gebühr grundsätzlich nur einmal verdienen. Da aber zwei Geschäftsgebühren vorgesehen sind, spricht dies im Umkehrschluss dafür, dass es sich auch um jeweils eigene Angelegenheiten handelt. Für dieses Verständnis spricht auch die Vorschrift des § 15 Abs. 1 RVG.
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