11.10.2018

Deutsches Besteuerungsrecht bei Zahlung eines sog. signing bonus

Deutschland steht das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Zahlung eines sog. signing bonus --eine bei Abschluss des Arbeitsvertrags fällige Einmalzahlung, die dem im Ausland ansässigen Arbeitnehmer für eine künftig in Deutschland auszuübende Tätigkeit vorab gewährt wurde-- nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 zu.

Kurzbesprechung
BFH v. 11.4.2018 - I R 5/16

EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 39b Abs. 6, § 41c Abs. 3 Satz 1, § 42d

LStDV § 2 Abs. 2 Nr. 1

DBA-Schweiz 1971/2010 Art. 15 Abs. 1 Satz 2

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4

AO § 164 Abs. 2

Streitig war, ob eine im Zusammenhang mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem ausländischen Wissenschaftler gewährte Einmalzahlung nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der inländischen Besteuerung unterliegt und der Arbeitgeber infolgedessen keinen Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG a.F. hat.

Der Steuerpflichtige, ein eingetragener Verein, ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, deren Finanzierung ganz überwiegend aus Zuschüssen von Bund und Ländern erfolgt. Er unterhält Forschungsinstitute, die von in- und ausländischen Wissenschaftlern geleitet werden. Deren Bezahlung orientiert sich an der beamtenrechtlichen Besoldung eines Hochschullehrers.

Der Steuerpflichtige schloss am 15.12.2011 mit dem bis Ende September 2012 in der Schweiz wohnhaften Wissenschaftler X einen Arbeitsvertrag, nach dem dieser ab 1. 1. 2012 bis 30.9. 2012 zunächst nebenamtlich als wissenschaftliches Mitglied des Steuerpflichtigen und ab 1.10. 2012 hauptamtlich als Direktor am H-Institut tätig werden sollte. In der Zeit der nebenamtlichen Beschäftigung sollte X monatlich 1.500 € erhalten. Der Arbeitsvertrag wurde in der Folgezeit vollzogen.

Bereits am 21. 11. 2011 hatte der Steuerpflichtige X über das Vertragsangebot mit dem Hinweis auf eine Einmalzahlung in Höhe von 200.000 € informiert. Die von einer öffentlichen gemeinnützigen Stiftung des bürgerlichen Rechts zu gewährende Einmalzahlung sollte dem Wissenschaftler die Entscheidung erleichtern, das Stellenangebot eines hauptamtlichen Direktors anzunehmen und seine bisherige Stelle aufzugeben. Daneben sollte es den Forscher für einige Jahre an den Steuerpflichtigen binden; der Betrag war deshalb zurückzuzahlen, wenn X vor Ablauf von fünf Jahren ab voller Aufnahme seiner Tätigkeit am H-Institut aus dem Dienst ausscheidet.

Im Mai 2012 stellte der Steuerpflichtige beim FA den Antrag, ihm aufgrund des DBA-Schweiz eine Bescheinigung über die Freistellung der Einmalzahlung vom Lohnsteuerabzug zu erteilen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Ein Teilbetrag von 110.000 € wurde im Juni 2012 vom Steuerpflichtigen an X ausgezahlt. In der Lohnsteueranmeldung für diesen Monat wurde die Zahlung nicht als lohnsteuerpflichtiger Vorgang erfasst.

Während das FG der eingelegten Klage stattgab, entschied der BFH, dass die Weigerung des FA, dem Steuerpflichtigen eine Freistellungsbescheinigung zu erteilen, rechtmäßig war. Die streitige Einmalzahlung gehörte zu den Einkünften des X aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG und die Bundesrepublik Deutschland hatte gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 das Recht, diese Einkünfte zu besteuern.

Zum Arbeitslohn gehören auch Einnahmen im Hinblick auf ein künftiges Dienstverhältnis, z.B. auch vor Arbeitsvertragsschluss geleistete Handgelder und Antrittsprämien. Da es genügt, dass sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers darstellt, besteht kein Zweifel am Arbeitslohncharakter der Einmalzahlung.

Für das Besteuerungsrecht Deutschlands kommt es nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 darauf an, dass die Arbeit im anderen als dem Ansässigkeitsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden. Im Streitfall hat X die Einmalzahlung für ("dafür") eine in Deutschland ausgeübte Tätigkeit bezogen, sodass Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht.

Das zeitliche Auseinanderfallen von Zahlung und Ausübung der Tätigkeit als Direktor eines Forschungsinstituts des Steuerpflichtigen ist hierbei unschädlich. Denn dem Abkommenswortlaut ist nicht zu entnehmen, dass Vergütungen, die im Hinblick auf ein zukünftiges Arbeitsverhältnis oder eine künftige Arbeitsausübung gezahlt werden, vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 im Besonderen oder von Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 im Allgemeinen ausgenommen sein sollen. Eine vorab gewährte Vergütung kann nicht anders behandelt werden als nachträglich ausgezahlter Arbeitslohn, der dem Besteuerungsrecht des früheren Tätigkeitsstaats unterliegt. Die Verteilung der Besteuerungsrechte ist demnach unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung der Vergütung vorzunehmen.

Die Einmalzahlung an X gehörte i.S. von Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 zu den "dafür" (d.h. "für" die Arbeit) bezogenen Vergütungen. Sie wurde nicht lediglich aus Anlass der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, sondern für die konkrete Tätigkeit von X als Direktor eines Forschungsinstituts gewährt. Ein solcher Bezug zwischen der Vergütung und einer konkreten Tätigkeit setzt kein nach Arbeitsstunden oder Arbeitsmonaten bemessenes Gehalt voraus. Für eine derartige Einschränkung findet sich im Abkommenswortlaut kein Anhalt. Im Streitfall wurde die Einmalzahlung auch nicht lediglich für das Unterschreiben des Arbeitsvertrags gewährt, sondern, für die mindestens fünfjährige Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses. Eine mindestens fünfjährige Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bedeutet nichts anderes als ein fünfjähriges Tätigsein (Arbeitsausübung) als Direktor eines bestimmten Forschungsinstituts mit bestimmter Aufgabenbeschreibung. Wenn die Einmalzahlung aber (auch) dafür gewährt wurde, dann ging es den Beteiligten um ein zusätzliches, vorausgezahltes Arbeitsentgelt für eine konkrete Arbeitnehmertätigkeit in Deutschland und nicht lediglich um eine Motivationszahlung, um X die positive Entscheidung für die Annahme des Arbeitsangebots zu erleichtern.

BFH, Urteil vom 11.4.2018, I R 5/16, veröffentlicht am 8.10.2018.

Verlag Dr. Otto Schmidt