01.12.2017

Zu den Anforderungen an das "Kennenmüssen" nach § 25d Abs. 1 UStG

Das "Kennenmüssen" i.S. des § 25d Abs. 1 UStG muss sich im Rahmen eines konkreten Leistungsbezugs auf Anhaltspunkte beziehen, die für den Unternehmer den Schluss nahelegen, dass der Rechnungsaussteller bereits bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Umsatzsteuer nicht abzuführen.

Kurzbesprechung
BFH v. 10.8.2017 - V R 2/17

UStG § 25d

§ 25d Abs. 1 UStG führt zur Haftung des Unternehmers aus einem vorangegangenen Umsatz, soweit der Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet hat und der Unternehmer bei Abschluss des Vertrags über seinen Eingangsumsatz davon Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte haben müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Merkmale des § 25d Abs. 1 UStG trägt das FA

Im entschiedenen Streitfall war das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen nach § 25d Abs. 1 UStG nicht erfüllt waren. Denn das FA hatte nicht nachgewiesen, dass die Steuerpflichtige von einer etwaigen vorgefassten Absicht des Geschäftsführers der rechnungsausstellenden GmbH Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis hätte haben müssen.
Der BFH stellte klar, dass an das Kennen müssen i.S. des § 25d Abs. 1 UStG strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn - wie im Streitfall -  die Regelvermutung des § 25d Abs. 2 UStG nicht eingreift.

§ 25d Abs. 1 UStG muss den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen. Die Regelung darf also nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ansprüche des Staates möglichst wirksam zu schützen. Zudem dürfen Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehörten, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt, für die Zahlung der von einem anderen Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer nicht gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werden.

Die Annahme, dass einem Steuerpflichtigen bereits bei bloßer Kenntnis von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen einen Vertragspartner erhöhte Sorgfaltspflichten obliegen, würde trotz der dem Unternehmer zukommenden Aufgabe, öffentliche Gelder als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates"  zu vereinnahmen, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Denn eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Auslegung des § 25d Abs. 1 UStG führt dazu, dass sich das Kennen müssen i.S. des § 25d Abs. 1 UStG auf Anhaltspunkte bezieht, die für den Unternehmer im Rahmen eines konkreten Leistungsbezugs den Schluss nahelegen, dass der Rechnungsaussteller bereits bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Umsatzsteuer nicht abzuführen. Hierfür gab es im Streitfall jedoch in Bezug auf die konkreten Eingangsleistungen, die haftungsbegründend sein sollen, weder nach den Feststellungen des FG noch nach Aktenlage oder nach dem Vortrag des FA irgendwelche Anhaltspunkte.

Beraterhinweis: Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25d Abs. 1 UStG nicht vorlagen, konnte der BFH offen lassen, in welchem Verhältnis eine Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs nach den Grundsätzen der vom BFH übernommenen Rechtsprechung des EuGH steht und ob überhaupt eine Kumulation von Vorsteuerversagung und Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG in Betracht kommen kann.

BFH, Urteil vom 10.8.2017, V R 2/17, veröffentlicht am 29.11.2017.

Verlag Dr. Otto Schmidt