17.06.2025

Betriebsratswahl: Verlangen von Briefwahlunterlagen setzt keine Begründung durch den Wahlberechtigten voraus

Die Pflicht des Wahlvorstands, einem Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Betriebsratswahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert ist, auf sein Verlangen die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe auszuhändigen oder zu übersenden, setzt keine Begründung des Verlangens durch den Wahlberechtigten voraus. Der Wahlvorstand hat die Verhinderung wegen Betriebsabwesenheit nur dann zu überprüfen, wenn sich Zweifel daran aufdrängen.

BAG v. 22.1.2025 - 7 ABR 1/24
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Die Arbeitgeberin betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, in deren Wahlbetrieb im Mai 2022 der elfköpfige Betriebsrat gewählt worden ist. Die vier noch am Verfahren beteiligten Antragsteller sind in dem Betrieb wahlberechtigte Arbeitnehmer.

Im Zusammenhang mit der Wahl des Betriebsrats beantragten 71 Wahlberechtigte die Aushändigung bzw. Übersendung von Briefwahlunterlagen. Von diesen richteten 23 ihr Verlangen jeweils ohne nähere Begründung per E-Mail an ein Mitglied des Wahlvorstands, welches die Briefwahlunterlagen daraufhin ohne vorherige Beschlussfassung des Wahlvorstands übersandte. Einem Arbeitnehmer konnten die Briefwahlunterlagen nicht zugesandt werden. Der Wahlvorstand wandte sich daraufhin an die Arbeitgeberin, die ihm mitteilte, dieser Arbeitnehmer liege nicht ansprechbar in einer Klinik.

In der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung behandelte der Wahlvorstand die Briefwahlstimmen einzeln jeweils dahingehend, dass zunächst der Freiumschlag geöffnet, diesem sodann der Wahlumschlag sowie die Erklärung zur persönlichen Stimmabgabe entnommen und anhand der Wählerliste überprüft wurde, ob bereits eine Stimmabgabe erfolgt war. War dies nicht der Fall, wurde der Wahlumschlag geöffnet. Bei vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzetteln wurden die Stimmen für ungültig befunden und die Stimmzettel von vornherein nicht in die Wahlurne eingelegt.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 2. Juni 2022 eingegangenen Antragsschrift haben die Antragsteller die Wahl angefochten. Sie haben die Auffassung vertreten, die Behandlung der vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzettel als ungültige Stimmen greife in unzulässiger Weise in das Wahlrecht der betroffenen Briefwähler ein. In Bezug auf einen Arbeitnehmer habe der Wahlvorstand nicht genug unternommen, um diesem die verlangten Briefwahlunterlagen zu übermitteln.

Das ArbG wies den Antrag, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, ab; das LAG gab ihm auf die Beschwerde der Antragsteller statt. Das BAG hat auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats den Beschluss des LAG aufgehoben.

Die Gründe:
Das LAG hat dem Wahlanfechtungsantrag zu Unrecht stattgegeben. Die verfahrensgegenständliche Betriebsratswahl ist nicht anfechtbar.

Nach § 19 Abs. 1 und 2 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.

Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung liegen nicht vor. Weder verstößt die Übermittlung von Briefwahlunterlagen an 23 Wahlberechtigte, bei denen das LAG eine ordnungsgemäße Begründung ihrer entsprechenden Verlangen vermisst hat, gegen die Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO, noch bildet die Behandlung der vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzettel von Briefwählern zu Beginn der Sitzung zur öffentlichen Stimmauszählung einen Anfechtungsgrund. Ein solcher liegt auch nicht in der Gestaltung des Hinweises über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe oder darin, dass einen Arbeitnehmer die von ihm verlangten Briefwahlunterlagen nicht erreicht haben.

Es liegt kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Satz 1 WO vor. Nach dieser Vorschrift hat der Wahlvorstand Wahlberechtigten, die im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben, auf ihr Verlangen die in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 5 WO näher angeführten Unterlagen für die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) auszuhändigen oder zu übersenden. Diese Pflicht zur Übermittlung der Briefwahlunterlagen setzt weder eine ausdrückliche Begründung des einzelnen Verlangens der Wahlberechtigten - und eine dahingehende Überprüfung des Wahlvorstands - noch eine Beschlussfassung des Wahlvorstands über die Aushändigung oder Übersendung voraus.

In dem Vorgehen des Wahlvorstands, das die schriftliche Stimmabgabe betrifft, und seiner Behandlung von vier Briefwahlstimmen zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung liegen gleichfalls keine Anfechtungsgründe.

Das LAG hat außerdem zutreffend erkannt, dass vier (Briefwahl-)Stimmen vom Wahlvorstand wahlrechtskonform wegen einer nicht der Vorgabe des § 25 Satz 1 Nr. 1 WO entsprechenden Faltung der Stimmzettel als ungültig angesehen worden sind. Unrichtig gefaltete Stimmzettel - also diejenigen, bei denen die Stimmabgabe ohne Auseinanderfalten ersichtlich ist - sind ungültig. Diese Rechtsfolge gebietet der Grundsatz der geheimen Wahl. Darauf, ob der Wahlvorstand einen förmlichen Beschluss über die Ungültigkeit von auf falsch gefalteten Stimmzetteln abgegebenen Stimmen gefasst hat, kommt es regelmäßig nicht an.

Mehr zum Thema:

Link zum Volltext der Entscheidung des BAG

Aktionsmodul Arbeitsrecht
Im Aktionsmodul Arbeitsrecht bekommen Sie die Inhalte der erstklassigen Standardwerke sowie alle Ausgaben der Zeitschriften zum Arbeitsrecht - ArbRB Arbeits-Rechtsberater und ZFA Zeitschrift für Arbeitsrecht. Darüber hinaus finden Sie Tipps zur Antragsstellung und gestaltenden Beratung für das gesamte Arbeitsrecht. Damit erhält der Praktiker ein Komplettangebot in ausgezeichneter Qualität. 4 Wochen gratis nutzen!

Optional Otto Schmidt Answers dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen.
 
BAG online