10.08.2022

Easyjet am BER: Zwei Kündigungswellen und zwei unterschiedliche Entscheidungen

Die betriebsbedingten Kündigungen, welche die Fluggesellschaft Easyjet in Folge einer Reduzierung der am Flughafen BER stationierten Flugzeuge ausgesprochen hat, sind im Hinblick auf die erste Kündigungswelle wirksam und im Hinblick auf die zweite Kündigungswelle unwirksam. Bezüglich der Frage der Folgen eines Verstoßes gegen § 17 Absatz 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz wurde die Revision zum BAG zugelassen.

LAG Berlin-Brandenburg v. 17.6.2022 - 9 Sa 1637/21 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Fluggesellschaft Easyjet hatte in einem Interessenausgleich mit der Personalvertretung vereinbart, im Zuge der Herausnahme/Verlegung von 16 der zuvor 34 Flugzeuge aus der Easyjet Base BER ab Dezember 2020, zunächst 418 Arbeitsplätze abzubauen und erst im Mai/Juni 2021 auf der Basis der Nachfrage und wirtschaftlichen Entwicklung der Fluggesellschaft über einen Abbau von weiteren bis zu 320 Arbeitsplätzen zu entscheiden. Im Folgenden wurden im November 2020 im Zuge einer ersten Kündigungswelle und im Juni 2021 im Zuge einer zweiten Kündigungswelle betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen. Bei der Fluggesellschaft war in der Zeit von April 2020 bis Juni 2021 Kurzarbeit angeordnet.

Das LAG hat die ausgesprochenen Kündigungen der ersten Kündigungswelle für wirksam und die der zweiten Kündigungswelle für unwirksam erklärt. Weitere Verfahren sind anhängig. Im Verfahren 5 Sa 1584/21 wurde  im Hinblick auf die Frage der Folgen eines Verstoßes gegen § 17 Absatz 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz die Revision zum BAG zugelassen.

Die Gründe:

+++ 5 Sa 1584/21 +++
Nach Entscheidung der 5. Kammer und dem folgend weiterer Kammern sind die ausgesprochenen Kündigungen der ersten Kündigungswelle wirksam. Die Kündigungen sind durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt. Es ist aufgrund der unternehmerischen Entscheidung zur Reduzierung der am BER stationierten bzw. der als "Flugzeugkontingent" dem BER zugeordneten Anzahl von Flugzeugen von 34 auf 18 von einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfes auszugehen.

Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, mit welcher Anzahl von Beschäftigten sie den verbleibenden Bestand an Flugzeugen vom BER aus betreiben will. Zwar stellt die angeordnete Kurzarbeit ein Indiz für einen nur vorübergehenden Arbeitsmangel dar, Anlass der Kündigung war jedoch nicht der vorübergehende Arbeitsmangel, sondern die ab Juni 2020 geplante und ab Dezember 2020 umgesetzte Reduzierung des Flugzeugkontingents.

Die Tatsache, dass die Beklagte keine langfristig gültigen Flugpläne aufgestellt, sondern kurzfristig und flexibel auf die Nachfrage reagiert hatte, stand einem dauerhaften Wegfall der betroffenen Arbeitsplätze nicht entgegen. Kurzfristige Flugplanänderungen zwingen nämlich nur dann zu einer Vergrößerung des Flugzeugkontingents, wenn sie mit dem bestehenden Kontingent nicht abgewickelt werden können, wofür es hier keine Anhaltspunkte gab.

Bei der Sozialauswahl hat die Beklagte den bestehenden Beurteilungsspielraum gerade nicht überschritten. Dass sie anders als in § 17 Absatz 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz vorgesehen das Schreiben zur Einleitung des Konsultationsverfahrens der Bundesagentur nicht gleichzeitig mit der Einleitung des Konsultationsverfahrens, sondern erst gemeinsam mit der Massenentlassungsanzeige zugeleitet hatte, führte nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Es handelte sich vielmehr um eine verfahrensordnende Vorschrift, deren Verletzung nach dem Zweck der Vorschrift auch unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führt.

+++ 9 Sa 1637/21 +++
Nach Entscheidung der 9. Kammer sind die ausgesprochenen Kündigungen der zweiten Kündigungswelle unwirksam. Denn betriebsbedingte Gründe für diese späteren Kündigungen konnten nicht festgestellt werden. Nach Vortrag der Fluggesellschaft hatte mit der unternehmerischen Entscheidung im Oktober 2020 nur der Abbau von 418 Positionen festgestanden. Entsprechend hatten sich die zunächst nicht gekündigten Beschäftigten auch weiterhin in Kurzarbeit befunden.

Da Kurzarbeit und der Bezug von Kurzarbeitergeld einen vorübergehenden Arbeitsmangel voraussetzt, sprach dies für die Annahme eines nur vorübergehenden Arbeitsmangels hinsichtlich des verbleibenden Personals. Eine behauptete weitere, nicht schriftlich abgefasste unternehmerische Entscheidung blieb vage, ein dauerhafter Wegfall von Arbeitsplätzen ließ sich auf dieser Grundlage nicht feststellen.

Außerdem konnte allein die Reduzierung der Zahl der dem BER zugeordneten Flugzeuge die Kündigung auch deshalb nicht rechtfertigen, weil es um einen Abbau von mehr Arbeitsplätzen ging, als dies rechnerisch der Reduzierung der Flugzeuge entsprach. Die damit vorliegende Entscheidung, künftig mit weniger Personal arbeiten zu wollen, war vom Kündigungsentschluss nicht zu entscheiden und musste nach BAG-Rechtsprechung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit näher erläutert werden. Dies war hier aber nicht hinreichend geschehen. Auch kurze Zeit später getroffene Regelungen zu zusätzlichen Einsätzen des verbleibenden Personals über die reguläre Arbeitszeit hinaus sprachen gegen einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Andrea Bonanni / Franziska Fehlberg
Mobile Arbeit - Das "neue" mildere Mittel im Rahmen einer Änderungskündigung?
ArbRB 2022, 144

Aktionsmodul Arbeitsrecht:
Für klare Verhältnisse sorgen: Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht. Topaktuell mit Fachinformationen rund um die Corona-Krise. Zahlreiche bewährte Formulare auch mit LAWLIFT bearbeiten! Jetzt hier vorab online: die Neuauflage HWK Arbeitsrecht Kommentar! 4 Wochen gratis nutzen!

LAG Berlin-Brandenburg - Pressemitteilung 18/22 v. 9.8.2022
Zurück