10.07.2023

Entscheidungsgründe zum BAG-Urteil zur Entgeltgleichheit von Männern und Frauen veröffentlicht

Das BAG hat endlich die mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe zu seinem Urteil zur Entgeltgleichheit von Männern und Frauen vom 16.2.2023 veröffentlicht.

BAG v. 16.2.2023 - 8 AZR 450/21
Die Parteien hatten darüber gestritten, ob die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung beim Entgelt verpflichtet ist, an die Klägerin ein höheres monatliches Grundentgelt sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen.

Das BAG hatte entschieden, dass eine Frau Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit hat, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändere es nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt. Der Umstand, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrags im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, sei für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nach § 22 AGG zu widerlegen.

Die Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG bzw. Art. 157 Abs. 2 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG erfahren. Die Klägerin hat im fraglichen Zeitraum ein um 1.000 € brutto geringeres monatliches Entgelt iSv. § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG bzw. iSv. Art. 157 Abs. 2 AEUV und Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG erhalten als der bei der Beklagten beschäftigte männliche Arbeitnehmer P.

a) Das monatliche Grundgehalt ist "Entgelt" iSv. § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sowie iSv. Art. 157 Abs. 2 AEUV und Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG. Der Vergleich der Entgelthöhe ist auf das Grundgehalt zu beschränken, während andere Entgeltbestandteile nicht in den Vergleich einzubeziehen sind.

b) Ob die betreffenden Arbeitnehmer die "gleiche Arbeit" oder "gleichwertige Arbeit" iSv. Art. 157 AEUV verrichten, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung durch das Gericht. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit iSd. EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind, § 4 Abs. 2 Satz 3 EntgTranspG.

c) Die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung kann im Einzelfall widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen. Veranlasst die Lage auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitgeber, das Entgelt für eine bestimmte Tätigkeit zu erhöhen, um Bewerbern einen Anreiz zu bieten, kann dies geeignet sein, die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung zu widerlegen.

d) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg allein darauf berufen, sich mit dem Bewerber P in Ausübung der beiderseitigen Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt geeinigt zu haben. (Teilweise wird die Auffassung vertreten, es sei zulässig, für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine höhere Vergütung zu zahlen, wenn sich ein Bewerber im Vorstellungsgespräch besonders gut verkaufe.)

Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer iSv. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie iSv. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG auch nicht effektiv umgesetzt werden. Art. 1 Satz 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/54/EG würde seine praktische Wirksamkeit genommen.

Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass die Beklagte dem Bewerber P ursprünglich dieselbe - niedrigere - Grundvergütung angeboten hat wie später der Klägerin und dass die Initiative für die Vereinbarung eines höheren Grundentgelts von dem Bewerber P ausging, weil dieser eine um 1.000 € brutto höhere Grundvergütung forderte. Allein der Umstand, dass die Beklagte der Forderung des Bewerbers P nach einem höheren Grundentgelt nachgegeben hat, ist für sich allein betrachtet ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen.

e) Eine bessere Qualifikation eines Bewerbers/einer Bewerberin kann im Einzelfall zur Widerlegung der Vermutung geeignet sein. Dies gilt nicht nur für eine bessere Qualifikation wegen einer fachspezifischen Ausbildung, sondern auch im Hinblick auf eine einschlägige Berufserfahrung.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Irrelevanz des Verhandlungsgeschicks
BAG vom 16.2.2023 - 8 AZR 450/21
Cornelia Marquardt, ArbRB 2023, 67

Aufsatz:
Equal Pay und AGG
Peter Meyer, ArbRB Blog 2023

Aufsatz:
Abschied vom Gender Pay Gap oder vom Pay Gap? Wohin geht die Reise nach der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 16.2.2023?
Alexander Lentz, ArbRB Blog 2023

Alles auch nachzulesen im Aktionsmodul Arbeitsrecht:
Für klare Verhältnisse sorgen: Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht. Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare auch mit LAWLIFT. Selbststudium nach § 15 FAO. HWK und Tschöpe, ArbRB, ZFA und vieles mehr. Fachkundig aufbereitete Darstellungen und Analysen aller wichtigen Entscheidungen mit praxisorientierten Beraterhinweisen und Musterformulierungen. 4 Wochen gratis nutzen!
 
BAG online
Zurück