04.07.2023

Erschütterung des Anscheinsbeweises einer nur für die Dauer der Kündigungsfrist ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit

Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es idR an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert idR den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.

LAG Niedersachsen v. 8.3.2023 - 8 Sa 859/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger war vom 16.3.2021 bis 31.5.2022 Arbeitnehmer der Beklagten, die ihn zuletzt am 21.4.2022 beschäftigte. Er meldete sich am 2.5.2022 krank und legte nachfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines behandelnden Arztes für den Zeitraum ab dem 2.5.2022 bis zum 31.5.2022 mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2.5.2022, dem Kläger zugegangen am 3.5.2022, ordentlich zum 31.5.2022 und verweigerte wegen der Koinzidenz der Krankschreibung und der Kündigung die Entgeltfortzahlung.

Das ArbG gab der Klage mit der Begründung statt, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch die Arbeitgeberin erschüttert worden sei. Die hiergegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin beim LAG Niedersachsen blieb erfolglos. Die Revision ist derzeit beim BAG zum Aktenzeichen 5 AZR 137/23 anhängig.

Die Gründe:
Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann dadurch erschüttert werden, dass der Arbeitnehmer sich im Falle des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend - "postwendend" - krankmeldet bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist - auch durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - abgedeckt wird.

Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung/News:
Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist
LAG Schleswig-Holstein vom 2.5.2023 - 2 SA 203/22

Rechtsprechung:
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
BAG vom 8.9.2021 - 5 AZR 149/21

Aufsatz:
"Das ist alles nur ... vorgetäuscht": Wann darf wegen "Krankfeierns" fristlos gekündigt werden?
AA 2023, 74

Kurzbeitrag:
BAG: Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung
ArbRB 2021, 293

Alles auch nachzulesen im Aktionsmodul Arbeitsrecht:
Für klare Verhältnisse sorgen: Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht. Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare auch mit LAWLIFT. Selbststudium nach § 15 FAO. HWK und Tschöpe, ArbRB, ZFA und vieles mehr. Fachkundig aufbereitete Darstellungen und Analysen aller wichtigen Entscheidungen mit praxisorientierten Beraterhinweisen und Musterformulierungen. 4 Wochen gratis nutzen!
 
LAG Niedersachsen PM vom 4.7.2023
Zurück