30.03.2023

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer "zur Vermeidung von Annahmeverzug" die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.

BAG v. 29.3.2023 - 5 AZR 255/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit dem 16.8.2018 bei der Beklagten als technischer Leiter beschäftigt und hat monatlich 5.250 € brutto verdient. Mit Schreiben vom 2.12.2019 sprach die Beklagte eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine auf monatlich 3.750 € brutto reduzierte Vergütung anbot. Weiter hieß es in dem Kündigungsschreiben, "im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 5.12.2019 spätestens um 12 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt".

Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14.12.2019 das Arbeitsverhältnis erneut und zwar "außerordentlich zum 17.12.2019 um 12 Uhr MEZ". Ferner wies sie darauf hin, "im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung" erwarte sie den Kläger "am 17.12.2019 spätestens um 12 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt". Der Kläger erschien wieder nicht.

In dem von ihm anhängig gemachten Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hatten. Nachdem die Beklagte für den Monat Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 € brutto zahlte und der Kläger erst zum 1.4.2020 ein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, hat er Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs erhoben, mit der er die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung verlangte.

Der Kläger war der Ansicht, eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu geänderten oder auch den ursprünglichen Arbeitsbedingungen sei ihm, sofern die Beklagte dies überhaupt ernsthaft angeboten habe, nicht zuzumuten gewesen. Die Beklagte habe ihm zur Begründung ihrer fristlosen Kündigungen in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Sie habe ihrerseits geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr unzumutbar. Die Beklagte sah sich nicht im Annahmeverzug befunden, weil der Kläger während des Kündigungsschutzprozesses nicht bei ihr weitergearbeitet habe. Der Kläger sei selbst von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen, weil er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Es hat angenommen, der Kläger sei nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB gewesen. Auf die nachträglich zugelassene Revision des Klägers hat das BAG das Berufungsurteil abgeändert und der Klage stattgegeben.

Die Gründe:
Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte.

Weil die Beklagte selbst davon ausgegangen war, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, sprach wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitet hatte. Die abweichende Beurteilung durch das LAG beruhte auf einer nur selektiven Berücksichtigung des Parteivortrags und war schon deshalb nicht vertretbar.

Darüber hinaus ließ die Ablehnung eines solchen "Angebots" nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers i.S.d. § 297 BGB schließen. Es wäre lediglich in Betracht gekommen, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst hätte anrechnen lassen müssen. Das schied hier jedoch aus, weil dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zuzumuten war.

Dem stand nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hatte. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht schließlich einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam "rehabilitiert" in den Betrieb zurückkehren kann.

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Aufsatz
Michael H. Korinth
Aktuelles zum Abberufungs- und Sonderkündigungsschutz von Betriebsbeauftragten
ArbRB 2023, 93

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