21.12.2021

Konkurrentenklage: Rundfunkfreiheit erweitert den Entscheidungsspielraum bei der Personalauswahl

Einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gegenüber können sich Stellenbewerber auf Art. 33 Abs. 2 GG berufen, der jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt gewährt. Die Rundfunkfreiheit des Senders steht der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Norm nicht entgegen, erweitert aber den Entscheidungsspielraum bei der Personalauswahl.

LAG Köln v. 16.9.2021 - 6 Sa 160/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist 64 Jahre alt. Er ist seit Oktober 2001 bei der beklagten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt beschäftigt. In der Vergangenheit war er als stellvertretender Redaktionsleiter und kommissarischer Redaktionsleiter im Einsatz. Zuletzt war und ist der Kläger als Leitender Redakteur in der Programmgeschäftsführung beschäftigt. Tarifgemäß erhält er auf dieser Position eine monatliche Bruttovergütung i.H.v. 9.491 € zzgl. einer Leistungszulage von 440 €.

Nach Ausschreibung einer Stelle als Leiter/Leiterin der Ereignisredaktion entschied sich die Beklagte für einen Mitbewerber des Klägers, ohne im Rahmen des Auswahlprozesses die wesentlichen Auswahlerwägungen in Gestalt eines wertenden und alle Bewerber betreffenden Auswahlvermerks schriftlich niedergelegt zu haben. Der Kläger war der Ansicht, er hätte für die Stelle ausgewählt werden müssen, da er der am besten Geeignete gewesen sei. Zumindest habe das Besetzungsverfahren mangels einer ausreichenden Dokumentation wiederholt werden müssen.

Die Beklagte berief sich auf ihre grundrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit aus Art. 5 GG und vertrat die Ansicht, sie könne nicht gleichzeitig grundrechtsberechtigt und grundrechtsverpflichtet sein. Sie treffe daher nicht die Pflicht zur Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG. Bei der ausgeschriebenen Stelle handele es sich zudem um kein öffentliches Amt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG die Entscheidung abgeändert und der Beklagten aufgegeben, über die Bewerbung des Klägers neu zu entscheiden. Allerdings wurde die Revision zum BAG zugelassen.

Die Gründe:
Zwar hat das Arbeitsgericht die Klage zurecht mit dem Hauptantrag abgewiesen. Mit dem Hilfsantrag ist die Klage aber begründet.

Die Beklagte ist Adressatin der Verpflichtung aus Art. 33 Abs. 2 GG, da sie in ihrer Rechtsform als Anstalt des öffentlichen Rechts einen Teil der öffentlichen Verwaltung im formellen Sinne darstellt und trotz der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur insoweit grundrechtsgebundenen öffentlichen Gewalt gehört. Die Staatsferne schließt die Anwendung des Art. 33 Abs. 2 GG nicht aus, erweitert aber den Entscheidungsspielraum bei der konkreten Auswahlentscheidung.

Um die Überprüfung der Auswahlentscheidung an dem Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG zu ermöglichen, war der Sender infolgedessen verpflichtet, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Da er dies nicht im ausreichenden Maß dokumentiert hat, ist der Bewerberverfahrensanspruch des Klägers verletzt worden, so dass ihm ein Anspruch auf Neubescheidung seiner Bewerbung zusteht.

Während das Verhältnis des Art. 33 Abs. 2 GG zur grundgesetzlich geschützten Selbstverwaltung der Kirchen und zur Wissenschaftsfreiheit der Universitäten bereits Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen ist, ist dieses Verhältnis zur Rundfunkfreiheit bisher vom BAG noch nicht entschieden worden. Infolgedessen wurde die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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Pressemitteilung des LAG Köln v. 20.12.2021
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