21.07.2025

Rufmordkampagne gegen verdächtigen Arbeitnehmer oder zulässige Befragung aller Mitarbeiter zur Sachverhaltsaufklärung?

Die Befragung sämtlicher Mitarbeiter des Betriebes im Zusammenhang mit Verdachtsmomenten gegen einen Arbeitnehmer unter Anwendung eines Fragenkataloges mit etwa 150 vorformulierten Fragen kann zur Sachverhaltsaufklärung gerechtfertigt sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitgeberin die durch die Befragung der Mitarbeiter gewonnenen Informationen dazu verwendet, den Beweis in einem Kündigungsschutzprozess zu führen.

LAG Niedersachsen v. 15.1.2025 - 2 SLa 31/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses. Das ArbG wies die Klage ab. Nach Durchführung der Beweisaufnahme bestehe zur Überzeugung des Gerichtes jedenfalls der dringende Verdacht, dass der Kläger andere Mitarbeiter dazu veranlasst habe, für ihn private Arbeiten während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln der Beklagten durchzuführen. Dabei habe er seine Vorgesetztenstellung gegenüber diesen Mitarbeitern ausgenutzt.

Der Kläger ist der Ansicht, durch die Art und Weise einer Mitarbeiterbefragung am 17. und 18. April 2023 sei er tiefgreifend in seinem Ansehen bzw. massiv in seiner Würde und Persönlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzt worden. Dadurch, dass er betriebsöffentlich mit zahlreichen Korruptions- und Nötigungsvorwürfen in Verbindung gebracht worden sei, seien die Mitarbeiter regelrecht gegen seine Person aufgehetzt worden. Es habe sich um einen öffentlichen Rufmord gehandelt, der ihn massiv in seinen grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechten verletzt habe. Die Mitarbeiterbefragung habe keine zulässige kündigungsvorbereitende Tatsachenermittlung im Sinne des Gesetzes dargestellt: Sie sei mitbestimmungswidrig nach § 94 BetrVG sowie entgegen den Grundsätzen von Recht- und Billigkeit (§ 75 BetrVG), Treu und Glauben (§ 242 BGB), billigem Ermessen (§ 315 BGB) sowie unter Außerachtlassung schutzwürdiger Interessen des Klägers sowie unverhältnismäßig und grundrechtswidrig durchgeführt worden (§ 26 BDSG). Bei dem formularmäßig erstellten Katalog von mehr als 155 Fragen, der als Leitfaden für sämtliche Gespräche bestimmt gewesen sei und in den jeweils die persönlichen Daten der Mitarbeiter und deren Antworten eingetragen worden seien, stelle einen mitbestimmungspflichtigen Personalfragebogen gemäß § 94 BetrVG dar. Diesem habe der Betriebsrat nicht zugestimmt. Aus dem Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht und der mitbestimmungswidrigen Verwendung des Fragebogens folge ein Beweisverwertungsverbot.

Das LAG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Die außerordentliche Kündigung ist wirksam. Das ArbG hat mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass der Kläger dringend verdächtig ist, andere Mitarbeiter dazu veranlasst zu haben, für ihn private Arbeiten während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln der Beklagten durchzuführen. Dabei hat er seine Vorgesetztenstellung gegenüber diesen Mitarbeitern ausgenutzt. Der hierauf bezogene Verdacht ist geeignet, das Vertrauen in die Integrität des Klägers mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu erschüttern.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Verwertung der Aussagen, die in der Mitarbeiterbefragung am 17. und 18 April 2023 erhoben wurden, nicht unzulässig. Es besteht weder ein Sachvortrags- noch ein Beweisverwertungsverbot.

Die ZPO und auch das ArbGG enthalten keine Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein verfassungsrechtliches Verwertungsverbot nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Das setzt in aller Regel voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre.

Entgegen der Ansicht des Klägers verstieß die Befragung der Mitarbeiter am 17. und 18. April 2023 mithilfe des Fragebogens nicht gegen § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG normiert die Voraussetzungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten, die im Beschäftigungsverhältnis begangen worden sind.

§ 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG konkretisiert die Anforderung an eine zulässige Verarbeitung von Beschäftigtendaten zur Aufdeckung von Straftaten.

Gegenstand der Aufklärungsgespräche und des hierbei verwendeten Fragenkataloges waren die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe. In seiner ersten Anhörung hatte der Kläger am 5. April 2023 erklärt, dass die Verladung der Hölzer ordnungsgemäß erfolgt sei. Er habe auch einen Freigabeschein für Kanthölzer aus Holzcontainern besessen, bei dem er lediglich vergessen habe, die Menge der Kanthölzer einzutragen. Damit war die Aufklärung zu dem Verdacht der unberechtigten Mitnahme von Kanthölzern/Paletten/sonstigem Holz veranlasst. In dem Zeitraum vom 6. April 2023 bis 13. April 2023 teilten mehrere Mitarbeiter gegenüber Mitarbeitern der Beklagten weitere Sachverhalte in Bezug auf den Kläger mit. Mitarbeiter, die anonym bleiben wollten, hatten angegeben, der Kläger habe sich unberechtigt Firmeneigentum angeeignet.

Die Aufklärungsgespräche unter Verwendung des Fragebogens am 17. April 2023 und am 18. April 2023 dienten insgesamt der Aufklärung des gegen den Kläger erhobenen Verdachts, dass dieser die vorgetragenen Pflichtverletzungen begangen habe. Ausgehend von dem gegenüber dem Kläger bestehenden Verdacht von Pflichtwidrigkeiten sollte auch aufgeklärt werden, ob sich an den behaupteten Pflichtverstößen andere Mitarbeiter beteiligt hatten und ob die Erklärung des Klägers richtig sei, es handele sich um ein allgemein übliches Verhalten im Betrieb und dieses Verhalten sei von Vorgesetzten gestattet worden. Die Mitarbeiter, die in dem Zeitraum vom 6. April 2023 bis 13. April 2023 zunächst in allgemeiner pauschaler Form von Pflichtwidrigkeiten des Klägers berichtet hatten, wollten zunächst anonym bleiben. Angesichts dessen ist der Hinweis der Beklagten berechtigt, dass die Angaben dieser Mitarbeiter auf ihre Stichhaltigkeit erst noch durch die Aufklärungsgespräche am 17. April und 18. April 2023 überprüft werden sollten und mussten. Auch durfte die Beklagte prüfen, ob die Angaben dieser Mitarbeiter durch Erkenntnisse anderer Mitarbeiter bestätigt wurden oder sich als unzutreffend herausstellen sollten. Es war im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast eines Arbeitgebers in einem Kündigungsschutzverfahren nach dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zwingend geboten, vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung den Sachverhalt sorgfältig und erschöpfend aufzuklären.

In dem Fragenkatalog wird der Kläger nicht denunziert, sondern im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe war es notwendig, den Kläger namentlich zu benennen. Zwar wurde durch die Befragung aller Mitarbeiter des Betriebes die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe dokumentiert und damit eine betriebliche Verbreitung der Vorwürfe ermöglicht. Auch dies war angesichts der erhobenen Vorwürfe und des Einwandes des Klägers, sein Verhalten sei ordnungsgemäß, angemessen. Der Kläger muss diese Folge hinnehmen, soweit die Beklagte - wie vorliegend - die durch die Befragung der Mitarbeiter gewonnenen Informationen dazu verwendet, den Beweis in einem Kündigungsschutzprozess zu führen. Die Informationen dienen lediglich der Durchsetzung rechtlich geschützter Belange der Beklagten. Datenschutz ist kein Tatenschutz (BAG, 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22).

Insgesamt ist festzustellen, dass angesichts der Vielzahl der gegenüber dem Kläger in dem Zeitraum vom 6. bis 13. April 2023 erhobenen Vorwürfe die Mitarbeiterbefragung am 17. und 18. April 2023 auf Basis des Fragenkataloges nach Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig war. Sie war gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig und stellte keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers dar.


Vorliegend ist auch kein Sachverhalt gegeben, der aufgrund einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Klägers eine ausnahmsweise Annahme eines prozessualen Verwertungsgebotes als geboten erscheinen lässt. Ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, muss bei mitbestimmungswidrig erlangten Informationen und Beweismitteln im Einzelfall festgestellt werden und lässt sich nicht allein mit einem Verstoß gegen § 94 Abs. 1 BetrVG begründen. Entscheidend für ein Verwertungsverbot kann allenfalls ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht sein. Wie dargelegt, ist vorliegend kein Sachverhalt gegeben, der aufgrund einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Klägers eine ausnahmsweise Annahme eines prozessualen Verwertungsverbotes als geboten erscheinen lässt.

Ein prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot folgt auch nicht aus den Regelungen des BetrVG. Die angemessene Befragung der Mitarbeiter am 17. und 18. April 2023 verstieß auch nicht gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG), gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§242 BGB) und auch nicht gegen den Grundsatz billigen Ermessens (§ 315 BGB). Die Kündigung ist auch nicht wegen mangelhafter Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

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Link zum Volltext der Entscheidung des LAG Niedersachsen

Aufsatz:
Zur Zulässigkeit heimlicher Mitarbeiterkontrollen anhand einer primärrechtskonformen Auslegung bzw. teleologischen Reduktion der DSGVO
Bernd Kinzinger, ZAU 2025, 280

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