05.07.2023

Sachvortragsverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess: Unverhältnismäßige Auswertung von E-Mails bzw. WhatsApp-Nachrichten

Bei erlaubter Privatnutzung eines dienstlichen E-Mail-Accounts darf eine verdachtsunabhängige Überprüfung durch den Arbeitgeber idR nicht verdeckt erfolgen. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer angekündigt werden, dass und aus welchem Grund eine Verarbeitung von E-Mails stattfinden soll. Es muss ihm die Gelegenheit gegeben werden, private Nachrichten in einem gesonderten Ordner zu speichern, auf den kein Zugriff erfolgt. Wird einem Arbeitnehmer ein Smartphone als umfassendes Kommunikations- und Organisationsgerät überlassen und erfolgt im Hinblick auf bestimmte Kommunikationsformen (WhatsApp; SMS; Telefon) ausdrücklich eine einvernehmliche Mischnutzung, darf der Arbeitnehmer annehmen, dass sich die Erlaubnis auch auf andere Kommunikationsformen (E-Mail) bezieht.

LAG Baden-Württemberg v. 27.1.2023 - 12 Sa 56/21
Der Sachverhalt:
Im Kündigungsschutzprozess stritten die Parteien um ein Sachvortragsverwertungsverbot im Hinblick auf Informationen, die bei einer verdeckten Auswertung von E-Mails bzw. WhatsApp-Nachrichten aus der Privatnutzung dienstlicher Kommunikationsmittel des Arbeitnehmers gewonnen wurden.

Das LAG bestätigte die Entscheidung des ArbG, welches ein Sachvortragsverwertungsverbot angenommen hatte. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Ein Grund zur fristlosen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht. Der Kläger beruft sich zu Recht auf ein umfassendes Sachvortragsverwertungsverbot nach Art. 1, 2 Abs. 1 GG iVm. § 26 BDSG.

Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (vgl. BAG v. 27.7.2017 - 2 AZR 681/16). Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein "verfassungsrechtliches Verwertungsverbot" nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG v. 23.8.2018 - 2 AZR 133/18).

War die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG nicht erlaubt, folgt hieraus regelmäßig ein Verbot der Verwertung der unzulässig beschafften Daten und Erkenntnisse.

Vorliegend besteht ein umfassendes Verwertungsverbot bezüglich der E-Mails und WhatsApp-Nachrichten. Sowohl die Weitergabe der E-Mails von der Beklagten an den Gesellschafter K1 als auch das Lesen der E-Mails und WhatsApp-Nachrichten des Klägers stellen eine Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten dar, die an § 26 Abs. 1 BDSG zu messen ist. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die Privatnutzung dienstlicher Kommunikationsmittel erlaubt war oder nicht. Auch bei einem Verbot der Privatnutzung muss eine Verarbeitung nach zutreffender und auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellter Ansicht den Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 BDSG entsprechen.

Gleichwohl spielt die Frage nach der Zulässigkeit einer erfolgten Privatnutzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung eine wichtige Rolle. Hat der Arbeitgeber nur eine dienstliche Nutzung von E-Mails bzw. anderen betrieblichen Kommunikationsmitteln erlaubt, gehen seine Einsichtsmöglichkeiten erheblich weiter als bei einer erlaubten Privatnutzung. Hat der Arbeitgeber den Privatgebrauch kraft Weisungsrechts generell untersagt, sind Kontrollen grundsätzlich zulässig, schon um die Einhaltung des Verbots zu überprüfen.

Umgekehrt führt die Erlaubnis oder Duldung der Privatnutzung zu einer massiven Beschränkung der arbeitgeberseitigen Befugnisse.

Vorliegend geht das Gericht bereits hinsichtlich der umfangreichen Auswertung der E-Mails des Klägers von einem Sachvortragsverwertungsverbot aus. Die erfolgte Weitergabe aller E-Mails zur Auswertung durch Herrn K1 war unverhältnismäßig gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG. Dies gilt nach Ansicht der Kammer sogar dann, wenn man von einer unerlaubten Privatnutzung ausgeht. Angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls geht die Kammer indes sogar davon aus, dass der Kläger berechtigterweise eine Erlaubnis zur privaten Nutzung annehmen durfte.

Der Kläger nutzte sowohl für seine private als auch für seine dienstliche Kommunikation umfassend das ihm überlassene iPhone. Er hatte den Erhalt eines rein dienstlichen Smartphones abgelehnt, weil er insgesamt nur ein Gerät für alle privaten und dienstlichen Belange nutzen wollte. Insoweit waren die Parteien sich einig, dass der Kläger seine bislang ausschließlich private SIM-Karte und Mobilfunknummer einbrachte und fortan auch dienstlich nutzte. Die private SIM-Karte sowie die mitgebrachte Mobiltelefonnummer waren für Telefonate, SMS und zur Nutzung des mit der Mobilfunknummer verbundenen Messenger-Dienstes WhatsApp zwingend erforderlich. Insoweit ist - wie das Arbeitsgericht bezüglich WhatsApp vollkommen zutreffend ausgeführt hat - eine einvernehmliche Mischnutzung für private und dienstliche Belange anzunehmen.

Wenn aber hinsichtlich dieser Kommunikationsformen eine einvernehmliche Mischnutzung vorliegt, durfte der Kläger davon ausgehen, dass sich diese Erlaubnis auch auf den dienstlichen E-Mail-Account erstreckte, selbst wenn dieser nicht unmittelbar von SIM-Karte und Mobilfunknummer abhängig war. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass der Kläger neben Telefonaten und Videokonferenzen auch seinen E-Mail-Verkehr und die Pflege des Terminkalenders über das Smartphone abwickelte und es sich insoweit um ein umfassendes "Kommunikations- und Organisationsgerät" gehandelt habe. Die erlaubte Mischnutzung bezüglich bestimmter Kommunikationsformen bewirkt nach Ansicht der Kammer daher die berechtigte Erwartung, dass dies - bis zu einem ausdrücklichen Verbot der Beklagten - auch hinsichtlich anderer Kommunikationsformen gelten sollte. Selbst die Beklagte ist der Ansicht, dass im Hinblick auf die Frage der Privatnutzung der WhatsApp-Messenger-Dienst keine andere rechtliche Qualität als der E-Mail-Account habe. Die Kammer nimmt deshalb vorliegend eine jedenfalls stillschweigende Erlaubnis der Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts an.

Der Verstoß gegen § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG führt gemäß den oben dargelegten Grundsätzen vorliegend auch zu einem Sachvortragsverwertungsverbot. Es sind keine weiteren, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehenden Aspekte vorgetragen oder ansonsten erkennbar, welche die in Frage stehende Informationsbeschaffung ausnahmsweise als gerechtfertigt ausweisen.

 

Dem Kläger steht eine Entschädigung gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO zu. Unter Abwägung aller Umstände erscheint ein Betrag von 3.000 € als angebracht und ausreichend. Wie oben dargelegt, hat die Beklagte durch die Auswertung der WhatsApp-Nachrichten des Klägers und ihrer Einführung im Kündigungsschutzprozess gegen § 26 BDSG verstoßen. Ein Verstoß iSd. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO liegt mithin vor.

Dem Kläger ist auch ein immaterieller Schaden entstanden. Die Kammer folgt insoweit zwar der zutreffenden Rechtsansicht des Generalanwalts beim EuGH Campos Sánchez-Bordona, wonach für die Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, den eine Person infolge eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften erlitten hat, die bloße Verletzung der Norm als solche nicht ausreicht, wenn mit ihr keine entsprechenden materiellen oder immateriellen Schäden einhergehen.

Die Schwelle für das Vorliegen eines immateriellen Schadens ist hier (deutlich) überschritten, weshalb die Beantwortung der insoweit noch anhängigen Vorlagefragen beim EuGH für den vorliegenden Fall ohne Relevanz ist. Der Kläger hatte nicht nur den bloßen Verlust der Herrschaft über seine Daten zu ertragen und sich allein hierüber geärgert. Vielmehr wurden sehr persönliche Daten von der Beklagten - wie etwa vertrauliche Nachrichten an seinen Bruder und seine Freunde - über einen erheblichen Zeitraum nicht nur ausgewertet, sondern anschließend von der Beklagten im Arbeitsgerichtsprozess eingebracht, um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Aus der rechtswidrigen Verarbeitung der Daten sind dem Kläger mithin konkrete Gefährdungen erwachsen, insbesondere der drohende Verlust seines Arbeitsplatzes mit allen einhergehenden materiellen und immateriellen Auswirkungen. Von einem unerheblichen Verstoß, der bloßen unbeachtlichen Ärger oder ein schieres Unmutsgefühl hervorgerufen hat, kann danach nicht ausgegangen werden.

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