22.01.2024

Täuschung über Impfunfähigkeit kann Kündigung rechtfertigen

Ein in der Patientenversorgung eingesetzter Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich von § 20a IfSG wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, verletzt in erheblicher Weise eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.

BAG v. 14.12.2023 - 2 AZR 55/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Die Klägerin war seit 1988 in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beschäftigt, zuletzt als Pflegehelferin.

Die Beklagte hatte im Dezember 2021 alle betroffenen Mitarbeiter über die zum 16.3.2022 in Kraft tretende sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht informiert und um Vorlage der von § 20a Abs. 2 IfSG a.F. verlangten Nachweise gebeten.

Die Klägerin legte der Beklagten daraufhin eine auf den 4.1.2022 datierte "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2" vor, die sie im Internet nach Zahlung einer Gebühr und Eingabe ihrer persönlichen Daten generiert und ausgedruckt hatte. In der Bescheinigung heißt es, dass "dieser Patient" aufgrund der ärztlichen Einschätzung und Bewertung seiner Angaben vor einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen von einem Facharzt für Allergologie überprüft werden müsse. Bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens sei "der Patient" zeitlich begrenzt bis zum 4.7.2022 impfunfähig und es bestehe die Gefahr, dass "der Patient" durch eine Impfung schwere, ggf. sogar tödliche Nebenwirkungen erleben könne. Eine Kommunikation der Klägerin - und sei es fernmündlich oder digital - mit der vermeintlichen Ärztin, deren Unterschrift auf die Bescheinigung aufgedruckt ist, erfolgte nicht.

Die Beklagte informierte gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG a.F. das zuständige Gesundheitsamt, welches mitteilte, dass die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen sei und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhe.

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien. Das ArbG gab der Klage statt; das LAG hat die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Die Revision der Klägerin vor dem BAG blieb ohne Erfolg.

Die Gründe:
In der unter Geltung von § 20a IfSG aF wahrheitswidrig erfolgten Behauptung durch einen in einem Krankenhaus beschäftigten Arbeitnehmer ggü. seinem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung (Anamnese) sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, lag eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB, die "an sich" als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist.

Das gilt ungeachtet der Frage, ob der Arbeitnehmer laienhaft davon ausging, er sei tatsächlich (vorläufig) impfunfähig. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 277 ff. StGB strafbar gemacht hat. Maßgebend ist vielmehr der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.

Das LAG hat rechtsfehlerfrei angenommen, die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung erwecke für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden und es handele sich gerade nicht um die bloße Wiedergabe einer allgemeinen medizinischen Auffassung.

Eine vorherige Abmahnung war aufgrund der besonderen Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich und auch die weitere Interessenabwägung fällt zulasten der Klägerin aus.

Das LAG musste der Klägerin auch keine Untauglichkeit ihres Täuschungsversuchs zugutehalten, weil es rechtsfehlerfrei gemeint hat, dass sich einem unbefangenen Leser der Bescheinigung ohne Recherche im Internet nicht unmittelbar aufdrängen musste, es könne schlechterdings kein persönlicher Kontakt zwischen der Klägerin und der ausstellenden vermeintlichen Ärztin stattgefunden haben. Dessen ungeachtet kann auch ein untauglicher Täuschungsversuch das vertragsnotwendige Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer irreparabel zerstören.

Das LAG musste die Interessenabwägung auch nicht deshalb zugunsten der Klägerin ausfallen lassen, weil sie "nur" über eine durch ärztliche Untersuchung festgestellte vorläufige Impfunfähigkeit getäuscht hat, während eine Täuschung über eine erfolgte Impfung oder eine Genesung noch schwerere Folgen hätte haben können, weil sie den Arbeitgeber dazu hätte veranlassen können, auch von anderen Schutzmaßnahmen abzusehen. Das Gewicht der Pflichtverletzung der Klägerin verringert sich nicht dadurch, dass noch schwerer wiegende Verstöße denkbar sind.

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Rechtsprechung/News:
Kündigung wegen Vorlage einer "vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung" aus dem Internet
LAG Hamm vom 30.3.2023 - 18 SA 1048/22

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