19.11.2015

Vergabe öffentlicher Aufträge darf von Zahlung eines Mindestlohns abhängig gemacht werden

Sogenannte Tariftreuegesetze der Länder (hier: Landestariftreuegesetz Rheinland-Pfalz) dürfen vorsehen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten einen bestimmten Mindestlohn zahlen. Es verstößt auch nicht gegen das Unionsrecht, wenn Bieter, die keine entsprechende Verpflichtungserklärung abgeben, von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

EuGH 17.11.2015, C-115/14
Der Sachverhalt:
2013 schloss die rheinland-pfälzische Stadt Landau das deutsche Unternehmen RegioPost von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Postdienstleistungen der Stadt aus, weil sich dieses Unternehmen entgegen den Bestimmungen der Vergabebekanntmachung nicht verpflichtet hatte, seinen Beschäftigten bei Ausführung des Auftrags einen Mindestlohn zu zahlen.

In der Vergabebekanntmachung hatte die Stadt das rheinland-pfälzische Landestreuegesetz in Bezug genommen. Hiernach dürfen öffentliche Aufträge in Rheinland-Pfalz nur an Unternehmen (und Nachunternehmer) vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe verpflichten, den zur Ausführung der Leistungen eingesetzten Beschäftigten ein Mindestentgelt von (während des im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraums) 8,70 Euro brutto pro Stunde zu zahlen. Im maßgebenden Zeitraum gab es in Deutschland für die Postdienstleistungsbranche keinen Tarifvertrag über einen verbindlichen Mindestlohn.

Das von RegioPost angerufene OLG Koblenz legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob diese Rechtsvorschriften des Landes Rheinland-Pfalz mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Der EuGH bejahte dies.

Die Gründe:
Das rheinland-pfälzische Landestreuegesetz und die hierauf beruhende Vergabebekanntmachung der Stadt Landau verstoßen nicht gegen das Unionsrecht.

Die Regelungen sind insbesondere mit der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge vereinbar. Die für Bieter bestehende Auflage, sich schriftlich zur Zahlung eines Mindestlohns an ihre Beschäftigten zu verpflichten, und der Ausschluss vom Vergabeverfahren bei Nichtabgabe einer solchen Verpflichtungserklärung stellen nach der Richtlinie grds. zulässige zusätzliche Bedingungen dar, da sie sich auf die Ausführung des Auftrags beziehen und soziale Aspekte betreffen.

Diese Verpflichtung ist im Streitfall auch transparent und nichtdiskriminierend. Sie ist zudem auch mit der Entsende-Richtlinie (RL 96/71) vereinbar, da sie sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, die einen Mindestlohnsatz im Sinne dieser Richtlinie vorsieht. Der in Rede stehende Mindestlohn gehört daher zu dem Schutzniveau, das den von Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten zur Ausführung des öffentlichen Auftrags entsandten Arbeitnehmern garantiert werden muss.

Auch wenn ein Mindestlohn geeignet ist, den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken, kann er in Fällen wie dem Vorliegenden durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein. Insoweit liegt hier eine andere Konstellation vor als in der Rechtssache "Rüffert" (EuGH, Urt. v. 3.4.2008 - Rs. 346/06).

Der Hintergrund:
In seinem Urteil in der Rechtssache "Rüffert" hatte der EuGH entschieden, dass ein Lohnsatz, der in einem nicht für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag in einem Mitgliedstaat, in dem es ein entsprechendes System gibt, festgelegt worden ist, Erbringern grenzübergreifender Dienstleistungen, die Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats entsenden, nicht durch eine auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbare gesetzliche Maßnahme dieses Mitgliedstaats vorgeschrieben werden darf (EuGH, Urt. v. 3.4.2008 - Rs. 346/06).

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 139/15 vom 17.11.2015
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