Wann kann für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ein Masseverfahren angenommen werden?
Hessisches LAG v. 15.7.2025 - 12 Ta 424/25
Der Sachverhalt:
Im Ausgangsverfahren beantragte die Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zur zeitlich befristeten Versetzung eines Mitarbeiters gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen. Mit Antragserweiterungsschriftsätzen aus den Folgemonaten beantragte die Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu zeitlich befristeten Versetzungen von 22 weiteren Arbeitnehmern zu ersetzen.
In allen 23 Zustimmungsverweigerungsbegründungen des Betriebsrats wird ausgeführt:
Wir sehen einen Verstoß gegen die GBV Auswahlrichtlinien (V.1.d) und § 99 (2) 1+2 ): Wir sind der Meinung, dass mit den weitestgehend passenden Mitbewerber:innen Fachgespräche zu führen sind, wie es die GBV Auswahlrichtlinien vorsieht. Die Vorrangsregelung für dringende Folgeersatzkandidat:innen beziehen sich unseres Erachtens nicht auf die Fachgespräche, sondern die tatsächliche Besetzung.
Nachdem sich die Betriebspartner außergerichtlich über die Durchführung der Versetzungen geeinigt haben, hat die antragstellende Arbeitgeberin die Anträge zurückgenommen.
Das ArbG hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 RVG für das Verfahren auf 115.000,- € festgesetzt und hierbei jeden der 23 Zustimmungsersetzungsanträge mit einem vollen Ausgangswert (Hilfswert) nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (5.000,- €) in Ansatz gebracht.
Das LAG hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin den Beschluss des ArbG abgeändert und den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 33 RVG für das Verfahren auf 35.000,- € festgesetzt. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel möglich.
Die Gründe:
Die Beschwerde, die sich auf die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren bezieht, ist weit überwiegend begründet. Die Beschwerdekammer stützt ihre Entscheidung auf den von der Streitwertkommission der Arbeitsgerichtsbarkeit erarbeiteten "Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit" in der Fassung vom 1.2.2024.
Zutreffend hat das ArbG im Rahmen seiner Wertfestsetzung für das nichtvermögensrechtliche Verfahren nicht auf die Vergütung der Arbeitnehmer abgestellt, sondern auf den Ausgangswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.
Allerdings vermag die Beschwerdekammer der Bemessung der 23 Zustimmungsersetzungsanträge mit jeweils einem vollen Ausgangswert vorliegend nicht zu folgen. Zwar gehen das ArbG und auch die Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats zutreffend davon aus, dass es sich um unterschiedliche Versetzungen von verschiedenen Mitarbeitern auf unterschiedliche Positionen für unterschiedliche Zeiträume handelt. Auch sind die Besetzungsentscheidungen unabhängig voneinander getroffen worden. Hierauf kommt es jedoch entscheidungserheblich nicht an, weil der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung jeweils wortgleich mit einem Verstoß gegen die GBV Auswahlrichtlinien begründet. Es wird also ein uneingeschränkt gleichgelagerter Zustimmungsverweigerungsgrund vorgebracht, ohne auf besondere Umstände einzelner Versetzungen einzugehen. Dies rechtfertigt nach Auffassung der Beschwerdekammer die Annahme eines Massenverfahrens im Sinne von Ziffer II.14.7 des Streitwertkatalogs.
Soweit das ArbG darauf abstellt, es müssten nach der Empfehlung des Streitwertkatalogs stets eine einheitliche unternehmerische Maßnahme und parallele Zustimmungsverweigerungsgründe und/oder vergleichbare Eingruppierungsmerkmale vorliegen, übersieht es, dass der Streitwertkatalog ein Massenverfahren insbesondere bei einem kumulativen Zusammentreffen von einheitlicher unternehmerischer Maßnahme und paralleler Zustimmungsverweigerungsgründe vorsieht. Durch die Verwendung des Wortes insbesondere ist klargestellt, dass auch in anderen Fällen von einem Massenverfahren ausgegangen werden kann. Hierfür sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend.
Allen 23 Zustimmungsverweigerungsschreiben ist nicht zu entnehmen, dass sich der Betriebsrat inhaltlich mit den jeweils beabsichtigten Versetzungen auseinandergesetzt hat. Er hat mit Ausnahme des Zustimmungsersuchens bezüglich des Arbeitnehmers A ausschließlich den formalen Verstoß gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung Auswahlrichtlinien geltend gemacht.
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Im Ausgangsverfahren beantragte die Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zur zeitlich befristeten Versetzung eines Mitarbeiters gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen. Mit Antragserweiterungsschriftsätzen aus den Folgemonaten beantragte die Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu zeitlich befristeten Versetzungen von 22 weiteren Arbeitnehmern zu ersetzen.
In allen 23 Zustimmungsverweigerungsbegründungen des Betriebsrats wird ausgeführt:
Wir sehen einen Verstoß gegen die GBV Auswahlrichtlinien (V.1.d) und § 99 (2) 1+2 ): Wir sind der Meinung, dass mit den weitestgehend passenden Mitbewerber:innen Fachgespräche zu führen sind, wie es die GBV Auswahlrichtlinien vorsieht. Die Vorrangsregelung für dringende Folgeersatzkandidat:innen beziehen sich unseres Erachtens nicht auf die Fachgespräche, sondern die tatsächliche Besetzung.
Nachdem sich die Betriebspartner außergerichtlich über die Durchführung der Versetzungen geeinigt haben, hat die antragstellende Arbeitgeberin die Anträge zurückgenommen.
Das ArbG hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 RVG für das Verfahren auf 115.000,- € festgesetzt und hierbei jeden der 23 Zustimmungsersetzungsanträge mit einem vollen Ausgangswert (Hilfswert) nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (5.000,- €) in Ansatz gebracht.
Das LAG hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin den Beschluss des ArbG abgeändert und den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 33 RVG für das Verfahren auf 35.000,- € festgesetzt. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel möglich.
Die Gründe:
Die Beschwerde, die sich auf die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren bezieht, ist weit überwiegend begründet. Die Beschwerdekammer stützt ihre Entscheidung auf den von der Streitwertkommission der Arbeitsgerichtsbarkeit erarbeiteten "Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit" in der Fassung vom 1.2.2024.
Zutreffend hat das ArbG im Rahmen seiner Wertfestsetzung für das nichtvermögensrechtliche Verfahren nicht auf die Vergütung der Arbeitnehmer abgestellt, sondern auf den Ausgangswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.
Allerdings vermag die Beschwerdekammer der Bemessung der 23 Zustimmungsersetzungsanträge mit jeweils einem vollen Ausgangswert vorliegend nicht zu folgen. Zwar gehen das ArbG und auch die Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats zutreffend davon aus, dass es sich um unterschiedliche Versetzungen von verschiedenen Mitarbeitern auf unterschiedliche Positionen für unterschiedliche Zeiträume handelt. Auch sind die Besetzungsentscheidungen unabhängig voneinander getroffen worden. Hierauf kommt es jedoch entscheidungserheblich nicht an, weil der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung jeweils wortgleich mit einem Verstoß gegen die GBV Auswahlrichtlinien begründet. Es wird also ein uneingeschränkt gleichgelagerter Zustimmungsverweigerungsgrund vorgebracht, ohne auf besondere Umstände einzelner Versetzungen einzugehen. Dies rechtfertigt nach Auffassung der Beschwerdekammer die Annahme eines Massenverfahrens im Sinne von Ziffer II.14.7 des Streitwertkatalogs.
Soweit das ArbG darauf abstellt, es müssten nach der Empfehlung des Streitwertkatalogs stets eine einheitliche unternehmerische Maßnahme und parallele Zustimmungsverweigerungsgründe und/oder vergleichbare Eingruppierungsmerkmale vorliegen, übersieht es, dass der Streitwertkatalog ein Massenverfahren insbesondere bei einem kumulativen Zusammentreffen von einheitlicher unternehmerischer Maßnahme und paralleler Zustimmungsverweigerungsgründe vorsieht. Durch die Verwendung des Wortes insbesondere ist klargestellt, dass auch in anderen Fällen von einem Massenverfahren ausgegangen werden kann. Hierfür sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend.
Allen 23 Zustimmungsverweigerungsschreiben ist nicht zu entnehmen, dass sich der Betriebsrat inhaltlich mit den jeweils beabsichtigten Versetzungen auseinandergesetzt hat. Er hat mit Ausnahme des Zustimmungsersuchens bezüglich des Arbeitnehmers A ausschließlich den formalen Verstoß gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung Auswahlrichtlinien geltend gemacht.
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