19.05.2025

Wann stellt die Kündigung wegen einer Krankmeldung eine unzulässige Maßregelung gem. § 612a BGB dar?

Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung kann gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstoßen, weil der Arbeitnehmer mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugleich sein Recht geltend macht, nicht zur Arbeit erscheinen zu müssen. Eine unzulässige Maßregelung kommt aber nur in Betracht, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll.

LAG Hessen v. 28.3.2025 - 10 SLa 916/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung. Der Kläger erlitt in seiner Probezeit Verletzungen nach einem Arbeitsunfall. Zwei Tage nach Vorlage der AU kündigte ihm der Arbeitgeber. Der Kläger ist der Ansicht, dass der Arbeitgeber damit gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstoßen habe.

Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage im Wesentlichen ab. Auch die Berufung vor dem LAG blieb ohne Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, weil der Arbeitnehmer mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugleich sein Recht geltend macht, nicht zur Arbeit erscheinen zu müssen (BAG v. 20.5.2021 - 2 AZR 560/20). Ein Verstoß gegen § 612a BGB könnte hier also darin gesehen werden, dass der Kläger kurz vor der Kündigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat.

Hier sprechen jedoch die Umstände dafür, dass die Kündigung nicht wegen der Krankmeldung, sondern aus anderen Gründen erfolgte. So hatte sich etwa herausgestellt, dass die von einer spanischen Agentur vermittelten Arbeitnehmer nicht angemessen Deutsch zu sprechen in der Lage waren. Auch verfügten sie nicht über Erfahrungen als Fahrer. Es kam daher gehäuft zu Verkehrsunfällen. Der Kläger hat zwar bestritten, an Unfällen beteiligt gewesen zu sein, es bleibt aber der Umstand bestehen, dass sich die Beklagte von insgesamt drei der ursprünglich vier über die spanische Vermittlungsfirma zu ihr gekommenen Arbeitnehmer getrennt hat.

Dies spricht dafür, dass es sich bei der Kündigung des Klägers nicht um eine herausgreifende Einzelfallentscheidung gehandelt hat, die als Reaktion auf den Arbeitsunfall und auf die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit erfolgte. Die Arbeitgeberin hat sinngemäß dargelegt, dass sie weder mit dem Kläger noch den beiden anderen spanischen Mitarbeitern zufrieden gewesen sei. Während der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses, die als eine Art Probezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ausgestaltet sind, stellt dies einen ausreichenden Vortrag dar, um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Unterhalb der Schwelle einer Kontrolle der Sozialgemäßheit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG reichen auch bloße subjektive Bewertungen der Arbeitgeberin aus. Objektiv nachvollziehbar ist jedenfalls, dass der Kläger nicht über besonders gute Deutschkenntnisse verfügt, was sich darin widerspiegelt, dass auf seinen Wunsch hin ein Dolmetscher zur Verhandlung in beiden Instanzen zu laden war.

Der Ausspruch der Kündigung zwei Tage nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt somit lediglich eine zeitliche Koinzidenz dar, die Beklagte kündigte aber nicht in der Hauptsache, um sich ihrer Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu entziehen. Es gibt nicht genügend Anhaltspunkte, dies als den Hauptzweck der arbeitsrechtlichen Maßnahme anzusehen.

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