17.03.2021

Kein Recht auf Einsichtnahme in Steuerakten trotz Betrugsverdacht

Ein Dritter hat kein Recht auf Einsichtnahme in die Steuerakten eines Steuerpflichtigen. Dies gilt auch dann, wenn gegen den Steuerpflichtigen der Verdacht des Betrugs zum Nachteil des die Akteneinsicht Begehrenden besteht.

FG Baden-Württemberg v. 25.11.2020 - 4 K 1065/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin, Mitglied eines Bankenkonsortiums, hatte Geschäftsbeziehungen mit einer GmbH. Deren Gesellschafter-Geschäftsführer hatte sich im Jahr 2008 für Verbindlichkeiten der GmbH selbstschuldnerisch verbürgt. 2009 wurde auf Antrag der GmbH über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Gesellschafter-Geschäftsführer aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Es folgten Vergleichsverhandlungen zwischen der Klägerin und dem Gesellschafter-Geschäftsführer. Dieser legte der Klägerin zum 30.6.2009 eine Vermögensübersicht vor und versicherte eidesstattlich deren Richtig- und Vollständigkeit. Diese führte zu einem Vergleich.

2015 erstattete die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer wegen des Verdachts des Betrugs. Die Klägerin erlangte aus den Ermittlungsakten Kenntnis über eine Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers und ein beim Finanzamt geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. Daraufhin beantragte die Klägerin Einsicht in die bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamts geführten Ermittlungsakten und Auskunft zu Schweizer Konten des Gesellschafter-Geschäftsführers. Das Finanzamt gewährte unter Bezugnahme auf das Steuergeheimnis keine Akteneinsicht. Es erteilte keine Auskünfte.

Das FG wies die auf Akteneinsicht gerichtete Klage ab. Die Revision zum BFH wurde zugelassen.

Die Gründe:
§ 30 der AO regelt das Steuergeheimnis und abschließend die Voraussetzungen für eine Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten. Das Finanzamt ist nicht nach § 30 Abs. 4 AO zur Offenbarung seiner Kenntnisse befugt.

Diese sind nicht in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden, sondern vor dessen Einleitung aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers. Diese Mitteilung von Tatsachen ist nicht freiwillig erfolgt. Hierzu war der Gesellschafter-Geschäftsführer nach den Vorschriften der AO verpflichtet. Mit seiner Selbstanzeige hat er nicht zugleich eine allgemeine Straftat offenbart. Alleine die Erkenntnis über (weitere) Einkünfte reicht für die Annahme eines Betrugs zulasten der Klägerin nicht aus.

Die von der Klägerin begehrte Mitteilung wird auch nicht zur Verfolgung eines Verbrechens benötigt. Ein Betrug ist kein Verbrechenstatbestand mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe. Dieser ist eine Wirtschaftsstraftat. Daher besteht eine Offenbarungsbefugnis des Finanzamts nur, wenn sich die Straftat gegen die gesamtwirtschaftliche Ordnung richten würde. Solch gravierende Auswirkungen hat das Vorgehen des Gesellschafter-Geschäftsführers jedoch nicht.

Dessen Vorgehen ist auch nicht geeignet, das Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern. Geht es der Klägerin im Streitfall letztendlich um die zivilrechtliche Rechtsverfolgung - die Klägerin möchte Schadensersatzansprüche gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer geltend machen -, so besteht auch kein zwingendes öffentliches Interesse an der Offenbarung der Vermögenssituation des Gesellschafter-Geschäftsführers durch das Finanzamt.
FG Baden-Württemberg PM Nr. 4 vom 17.3.2021
Zurück