10.06.2025

Zur Kenntnis der für den Schuldner handelnden Personen vom Betreiben eines Schneeballsystems

Leistet der Schuldner auf gewinnabhängige Ansprüche stiller Gesellschafter, ist eine Kenntnis der für den Schuldner handelnden Personen vom Betreiben eines Schneeballsystems für die Kenntnis der Nichtschuld hinreichend, aber nicht notwendig. Es genügt bereits, wenn sich die Kenntnis darauf bezieht, dass keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet werden und es sich bei den an stille Gesellschafter ausgeschütteten Beträgen um Scheingewinne (oder Scheinguthaben) handelt.

BGH v. 20.3.2025 - IX ZR 141/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 4.8.2016 am 2.1.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG (Schuldnerin), die Kapitalanlegern die Möglichkeit der Beteiligung als stille Gesellschafter bot. Die Schuldnerin warb bei Anlegern Gelder ein und reichte sie auf der Grundlage eines Rahmenkreditvertrags in Tranchen weiter an ihre Gründungskommanditistin zu 90 %, die L. GmbH & Co. KG (L.). Letztere sollte mit den Geldern ein Luxuspfandhaus betreiben und aus den Einnahmen die Rückzahlung der Darlehen nebst Zinsen an die Schuldnerin bewirken. Weiterer Kommanditist der Schuldnerin zu 10 % war M. Laut dem Gesellschaftsvertrag der Schuldnerin waren deren Kommanditisten zur Geschäftsführung berufen; die Komplementärin war demgegenüber von der Geschäftsführung ausgeschlossen.

Tatsächlich betrieb die L. ein Schneeballsystem, die von der Schuldnerin investierten Anlegergelder wurden zweckwidrig für Darlehen innerhalb der Gruppe verwendet. Ein Pfandleihgeschäft wurde im großen Stil vorgetäuscht. Die Inpfandnahmen betrafen zumeist absichtlich zu hoch bewertete, gefälschte und wertlose Faustpfänder sowie Inhabergrundschuldbriefe oder Inhaberaktien nahestehender Personen oder Unternehmen. Aufgrund von Rahmenverrechnungsvereinbarungen mit der Schuldnerin verrechnete die L. das fällige Darlehen mit einem neu ausgereichten, um eine tatsächliche Rückerstattung an die Schuldnerin zu umgehen. Das neue Darlehen wurde für einen Pfandkredit verwendet, der teils mit demselben Objekt wie zuvor, nur mit neuer Pfandnummer und höherer Bewertung, gesichert war. Infolge dieser Geschäftspraxis waren die von der Schuldnerin an die L. ausgereichten Darlehen zum großen Teil nicht werthaltig. 

Der Beklagte beteiligte sich an der Schuldnerin im Rahmen des Angebots "C." mit Beitrittserklärung vom 28.2.2011 als stiller Gesellschafter mit einer Einlage i.H.v. 15.000 € zzgl. Agio. Mit weiterer Beitrittserklärung vom 15.10.2012 beteiligte er sich an der Schuldnerin im Rahmen des Angebots "C. 2" als stiller Gesellschafter mit einer Einlage i.H.v. 50.000 €. Der Beklagte erhielt von der Schuldnerin auf seine erste Beteiligung in den Jahren 2013 und 2014 drei Auszahlungen und eine Einlagenrückzahlung, von denen der Kläger einen Betrag i.H.v. rd. 2.600 € geltend macht. Auf seine zweite Beteiligung erhielt er in den Jahren 2013 bis 2015 fünf Auszahlungen, die der Kläger in voller Höhe von rd. 8.300 € geltend macht. Ende des Jahres 2015 war die L. nicht mehr in der Lage, die ihr von der Schuldnerin gewährten Darlehen zurückzuzahlen. Über das Vermögen der L. wurde am 5.2.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der unentgeltlichen Leistung gem. § 134 InsO auf Rückgewähr der Auszahlungen sowie der Rückzahlung, soweit es sich nach seiner Auffassung um Scheinguthaben handelte, in Anspruch.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG ist der Auffassung, der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, dass die jeweiligen Geschäftsführer der Schuldnerin von dem Schneeballsystem der L. Kenntnis gehabt hätten. Diese Erwägung ist in mehrfacher Hinsicht von Rechts- und Verfahrensirrtum beeinflusst.

Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist nach ständiger BGH-Rechtsprechung dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei ggf. die benannten Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen.

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers. Demnach soll dem als Zeugen benannten M. insbesondere spätestens seit Mitte 2012 - also vor den Auszahlungen an den Beklagten - bewusst gewesen sein, dass die L. nicht den prospektierten Pfandleihbetrieb unterhalten und die ihr zur Verfügung gestellten Darlehen zweckwidrig eingesetzt habe und die Zinszahlungen an die Anleger aus den Einlagen anderer Anleger oder anderer stiller Gesellschafter gestammt hätten. Deswegen wäre es Sache des Tatrichters gewesen, nunmehr in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei den benannten Zeugen ggf. nach weiteren Einzelheiten zu befragen. Denn der Tatrichter muss versuchen, auf der Grundlage des bereits vorhandenen oder ggf. anzuregenden Parteivortrags und der verfügbaren Beweismittel die beweiserhebliche Frage zu klären, bevor er eine Beweislastentscheidung trifft. Das OLG hat sich stattdessen damit begnügt, die vom Kläger vorgelegte, ihm gegenüber erteilte schriftliche Auskunft des M. zu würdigen und darauf verwiesen, diese spreche deutlich gegen eine solche Kenntnis. Wenngleich die einer außergerichtlichen Erklärung des Zeugen zu entnehmenden Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden dürfen und müssen, berechtigen sie das Tatgericht doch nicht, angebotene Beweise nicht zu erheben. Denn darin würde eine nicht zulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung liegen.

Im Übrigen ist eine positive Kenntnis der Geschäftsführer der Schuldnerin von dem Schneeballsystem der L. zur Begründung der Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 Fall 1 BGB) zwar hinreichend, aber nicht notwendig. Wie der Senat bereits entschieden hat, muss sich die Kenntnis der Schuldnerin lediglich darauf beziehen, dass keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet werden und es sich bei den an stille Gesellschafter ausgeschütteten Beträgen um Scheingewinne (oder Scheinguthaben) handelt. Ausschlaggebend ist insoweit nicht, ob die für die Schuldnerin handelnden Personen Bilanzierungsregeln in allen Einzelheiten kannten oder ob sie wussten, wie rechtstechnisch die Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zu bilanzieren gewesen sei. Eine Kenntnis kann insbesondere schon dann angenommen werden, wenn für den Geschäftsführer aus den ihm bekannten Vertragskonstruktionen ersichtlich war, dass die Schuldnerin etwa aufgrund eines Gleichlaufs zwischen den von der L. zu zahlenden Darlehenszinsen und der den Anlegern gegenüber dargestellten Gewinnbeteiligungen keine Gewinne erzielen konnte. Hierzu hat das OLG keine Feststellungen getroffen.

Das während der Tätigkeit des M. spätestens Mitte 2012 einmal erlangte Wissen, dass die Gesellschaft keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet und es sich bei den an stille Gesellschafter ausgeschütteten Beträgen um Scheingewinne (oder Scheinguthaben) handelt, ist der Schuldnerin entgegen der Auffassung des OLG auch nach Ausscheiden des M. weiter zuzurechnen. Eine solche Wissenszurechnung kommt insbesondere in Betracht, wenn bereits im Zeitpunkt der Wahrnehmung des Umstands ein besonderer Anlass zur Dokumentation bestand. Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn die Geschäftsführung - wie hier - erkennt, dass die Gesellschaft aufgrund eines zweifelhaften Geschäftsmodells Verluste erwirtschaftet und gleichwohl Scheingewinne an stille Gesellschafter ausschüttet.

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