28.07.2025

Keine Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen

Das VG Freiburg hat die Klage eines Ehepaares abgewiesen, das einer kleinen christlichen Glaubensgemeinschaft angehört und aus religiösen Gründen für seine Kinder eine Befreiung vom Schwimmunterricht erreichen wollte. Dem staatlichen Erziehungsauftrag sei hier der Vorrang vor dem religiösen Erziehungsrecht der Eltern zu geben, entschied das VG. Denn eine verpflichtende Rücksichtnahme der Schule auf solche Verbote würde die Erfüllung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsverantwortung erheblich schwächen und in einen prinzipiellen Nachrang gegenüber individuellen religiösen Tabuisierungsvorstellungen versetzen. Die schulische Aufgabe, die Schüler mit dem Erlernen lebensnotwendiger Fähigkeiten wie dem Schwimmen sowie dem mit dem Sportunterricht in besonderem Maße verbundenen Gemeinschaftsgedanken vertraut zu machen, wäre hierdurch unmittelbar beeinträchtigt.

VG Freiburg v. 15.4.2025 - 2 K 1112/24
Der Sachverhalt:
Das klagende Ehepaar begehrte ursprünglich für drei seiner Kinder eine Befreiung vom schulischen Schwimmunterricht unter Berufung darauf, dass nach den Glaubensregeln der Palmarianischen Kirche bereits das Betreten eines Schwimmbads eine "Todsünde" darstelle, da man dort durch die Zurschaustellung des Körpers "Unsittliches" zu sehen bekomme. Nach den Bekleidungsvorschriften dieser Glaubensgemeinschaft dürfen Männer und Frauen keine eng anliegende und durchsichtige Kleidung tragen.

Für zwei Kinder (Sohn und Tochter) haben die Kläger und das beklagte Land Baden-Württemberg das Verfahren in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt, da in den Klassenstufen, die diese Kinder inzwischen besuchen, kein Schwimmunterricht mehr angeboten wird. Hinsichtlich einer im Jahr 2014 geborenen Tochter der Kläger, die derzeit die vierte Klassenstufe besucht, hat das VG die Klage auf Befreiung vom Schwimmunterricht abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung vom Schwimmunterricht. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 3 Abs. 1 der baden-württembergischen Schulbesuchsverordnung (SchulBesVO). Diese Norm ist verfassungskonform so auszulegen, dass eine Befreiung vom Sport- bzw. Schwimmunterricht nicht nur aus gesundheitlichen Gründen möglich ist (vgl. Satz 1), sondern auch in anderen "besonders begründeten Ausnahmefällen" erteilt werden kann (vgl. Satz 2). Ein solch besonderer Grund liegt vor, wenn durch die Teilnahme am Sport- bzw. Schwimmunterricht die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Schülers bzw. das religiöse Erziehungsrecht der Eltern verletzt würde. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

Die Ablehnung der Befreiung vom Schwimmunterricht stellt zwar einen Eingriff in das religiöse Erziehungsrecht der Kläger (aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG) dar, weil sie aufgrund der bestehenden Schulpflicht verpflichtet sind, ihre Tochter einem ihren Glaubensregeln widersprechenden Einfluss auszusetzen. Dieser Eingriff in das religiöse Erziehungsrecht ist jedoch gerechtfertigt. Er dient der Wahrung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags (aus Art. 7 Abs. 1 GG), der ebenfalls Verfassungsrang genießt. Diese beiden gleichrangigen Verfassungspositionen müssen in einen schonenden Ausgleich gebracht werden (Grundsatz der praktischen Konkordanz). Daher ist zunächst nach einer "kompromisshaften Konfliktentschärfung" zu suchen und zu berücksichtigen, dass der einzelne Schüler bzw. dessen Eltern gestützt auf religiöse Verhaltensgebote nur in Ausnahmefällen eine Unterrichtsbefreiung beanspruchen können.

Im vorliegenden Fall ist eine Entschärfung des Konflikts im Kompromisswege durch organisatorische Vorgaben und Ausweichmöglichkeiten (etwa Bereitstellung einer abgetrennten Umkleidekabine, Tragen von nicht enganliegender Badebekleidung) aufgrund der kategorischen Ablehnung der Kläger und deren Haltung, dass bereits das Betreten eines Schwimmbads aus religiösen Gründen unmöglich ist, von vorneherein ausgeschlossen. Infolgedessen ist es unausweichlich, eine Vorrangentscheidung zwischen religiösem Erziehungsrecht einerseits und staatlichem Erziehungsauftrag andererseits zu treffen, die hier zugunsten des Letzteren ausfällt.

Denn eine Teilnahme am Schwimmunterricht würde nicht zu einer besonders gravierenden Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts führen. Insbesondere ist der Vortrag nicht nachvollziehbar, dass ein Verstoß gegen das Gebot, keine Schwimmstätten zu betreten und sich sittsam zu kleiden, eine "Todsünde" sei und zur Exkommunikation führe. Denn nach dem palmarianischen Katechismus setzt eine Sünde einen "freiwilligen Ungehorsam" voraus. Die Teilnahme am Schwimmunterricht erfolgt aber nicht freiwillig, sondern wird durch eine staatliche Vorgabe, nämlich die Schulpflicht, erzwungen.

Selbst wenn man eine besonders gravierende Beeinträchtigungsintensität für das religiöse Erziehungsrecht unterstellt, fällt die Abwägung zu Lasten der Kläger aus. Denn eine verpflichtende Rücksichtnahme der Schule auf ein regelrechtes Konfrontationsverbot, welches die Kläger durch das Verbot des Betretens von Schwimmbädern formulierten, würde die Erfüllung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsverantwortung erheblich schwächen und in einen prinzipiellen Nachrang gegenüber individuellen religiösen Tabuisierungsvorstellungen versetzen. Die schulische Aufgabe, die Schüler möglichst umfassend mit Wissensständen der Gemeinschaft, dem Erlernen lebensnotwendiger Fähigkeiten wie dem Schwimmen sowie dem mit dem Sportunterricht in besonderem Maße verbundenen Gemeinschaftsgedanken vertraut zu machen, wäre hierdurch unmittelbar beeinträchtigt. Dies würde den schulischen Wirkungsauftrag in seinem Kern in Frage stellen, da die Schule neben ihrer Bildungsaufgabe auch eine unerlässliche Integrationsfunktion zu erfüllen hat. Dazu gehört, dass die Schüler mit der in der Gesellschaft vorhandenen Vielfalt an Verhaltensgewohnheiten - wozu Bekleidungsgewohnheiten zählten - konfrontiert werden.

Ein Zurücktreten des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags ist bei dieser Sachlage allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn andernfalls das religiöse Erziehungsrecht ebenfalls in seinem Kern in Frage gestellt würde. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil es den Klägern ansonsten - abgesehen von dem wöchentlichen Schwimmunterricht - im Alltag völlig unbenommen bleibt, ihre Tochter in Glaubensfragen nach eigener Vorstellung zu erziehen. Außerdem können sie die Einhaltung der von ihrem Glauben vorgegebenen Bekleidungsvorschriften im Schwimmunterricht durch alternative Badebekleidung (wie etwa einen Burkini) jedenfalls insoweit sicherstellen, dass die Einschränkung des religiösen Erziehungsrechts auf ein Minimum reduziert wird.

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§ 3 SchulBesVO in der Fassung vom 4.2.2025 lautet auszugsweise:

(1) 1 Schüler werden vom Sportunterricht teilweise oder ganz befreit, wenn es ihr Gesundheitszustand erfordert; sie sind zur Anwesenheit im Unterricht verpflichtet, soweit dies gesundheitlich zumutbar erscheint. 2 Von der Teilnahme am Unterricht in einzelnen anderen Fächern oder von sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen können Schüler nur in besonders begründeten Ausnahmefällen vorübergehend oder dauernd ganz oder teilweise befreit werden; für Berufsschulpflichtige gilt dies nur dann, wenn der Gesundheitszustand die Teilnahme nicht zulässt.

 

VG Freiburg PM vom 24.7.2025